Eine Kolumne mit Kelly Kosel, in der an Gefühlen gefummelt, Fäden verfolgt und Themen rund um Sexualität, Körper, Intimität und Beziehungen eingeladen werden.
Was kann ich bei Liebeskummer tun?
Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht: Fast alle kennen wir Liebeskummer – und: wir kennen fast alle Liebeskummer. Wir sind unglücklich verliebt, streiten mit unseren liebsten Freund_innen, trennen uns von unserer langfristigen romantischen Beziehung, ziehen um oder lassen unseren summer fling im Sommer zurück. Das sich verändernde Leben ist voll von kleinen und großen Herzschmerzen. Ein angeknackstes oder gebrochenes Herz kann tiefe Auswirkungen haben – Studien zeigen, dass bei Liebeskummer unser Hirn/Körper/Geist gleich reagieren wie bei einem Todesfall. Liebeskummer ist in jedem Alter und jeder Lebensphase möglich – vom kurzen Kindheits-Crush zur Altersheim-Lovestory.
Voller Wut mit dem Fahrrad durch die Stadt treten, schmerzend einen Tag im Bett bleiben, endlose Gespräche im eigenen Kopf, Erleichterung über das Ende der endlosen Gespräche im echten Leben, melancholisches Herumspazieren an Erinnerungs-Orten, Panik oder Hoffnung die Ex-Person zufällig wo zu treffen oder spontan kurz mal einen Weinkrampf bekommen, während wir eigentlich nur die Wäsche anmachen wollten. Alle diese und viele weitere Gefühle sind normal. Liebeskummer hat viele Phasen. Die Gefühlsachterbahn zu fühlen ist die Medizin gegen die emotionalen (und manchmal sehr körperlichen) Schmerzen. Hier brauchen wir je nach Gefühlen, die an der Tagesordnung stehen (nicht selten wechseln die Gefühle täglich auch ein wenig) unterschiedliche Strategien. Was also tun, wenn du oder deine guten Freund_innen Liebeskummer haben?
Hier eine kleine, unvollständige Liste an gut-tuenden Strategien als Inspiration:
- Darüber sprechen
- Weinen
- Ein neues Hobby beginnen
- Tanzen
- Lesen
- Ausflüge machen
- Sich zum Essen einladen oder kochen
- Serie schauen
- Lachen
- Alte Freund_innen treffen
- Neue Freund_innen finden
- Sport
- Spazieren gehen
- Meditieren
- Sich Zeit nehmen für Solosex
- Karten spielen
- Tagebuch schreiben
- Dates?
- Basteln oder töpfern
- Urlaub oder reisen
- Sich selbst Blumen kaufen
- Einen Brief an die Liebeskummer-Person schreiben und nicht abschicken
- Im Wald sein
- Die Wohnung umdekorieren
Manche Strategien sind eher vom Typ „ablenken“, wie etwa Ausflüge, spielen oder ein neues Hobby. Diese sind wichtig, damit du merkst: „Ah, mein Leben ist schön und ich kann auch feine Sachen erleben – ohne die Person, wegen der ich Liebeskummer habe.“ Manchmal den Schmerz zu vergessen, Spaß zu haben und Leichtigkeit zu fühlen ist in Liebeskummerphasen sehr wertvoll. Genauso wichtig ist es, sich den schmerzhaften Gefühlen zu stellen – denn der einzige Weg vorbei ist durch. Gefühle gehen nur weg, indem wir sie fühlen (bitte möglichst allen Leuten weitersagen).
Zum Typ „Gefühle fühlen“ gehören zum Beispiel, die Strategien meditieren, weinen, darüber reden oder Tagebuch schreiben. Bei vielen Tätigkeiten kommt es auf die Haltung an: Mit Freund_innen tanzen gehen ist vielleicht eher „Ablenkung“, während zuhause ein Lied anmachen, das zur derzeitigen Stimmung passt (wütend, traurig, melancholisch, etc.) und tanzen wohl eher unter „Gefühle fühlen“ fällt. Wichtig ist jedenfalls eine Balance zwischen diesen beiden Aspekten (Ablenkung/Gefühle zulassen) zu finden – vielen Leuten fällt eher das eine oder eher das andere leichter (Kennst du die Art Person, die sich am liebsten Monate nur daheim vergräbt – oder die, die sich sofort in neue Dates und Abenteuer stürzt?) Wechsel deine Liebeskummer-Strategien ab, als würdest du ein Instrument spielen: Statt immer auf die gleiche(n) Taste(n) zu drücken, versuche möglichst viele Töne abzuwechseln, so dass eine feine Melodie entsteht. Tipp: Schreib (oder zeichne) dir deine Strategien auf einen Zettel. Häng ihn irgendwo auf, wo du ihn jeden Tag siehst. An manchen Tagen brauchen wir eine Erinnerung, was uns alles gut tut.
Warum klappen manche Strategien besser als andere? Liebeskummer ist eine Art Stress. Um mit den körperlich-geistig-emotionalen Reaktionen von diesem Stress umzugehen, gibt es Wege, die besonders gut funktionieren. Emily Nagoski nennt das: ways to « complete the stress cycle ». Die effektivste Art, mit emotionalem Stress umzugehen, ist, ihn in Bewegung zu bringen. Das heißt: Gehen, tanzen, Sport machen, sich strecken, kurz losrennen, radeln oder auch alle Muskeln 20 Sekunden lang anspannen und sich dann ausschütteln. Was auch gut funktioniert:
- Atmen (vor allem Bauchatmung und ein langes Ausatmen. Übung: Langsam auf 5 einatmen, 5 Luft anhalten, 10 ausatmen, 5 anhalten – und wieder von vorne)
- Weinen (gerne auch mit Schluchzen. Achtung: Hier den richtigen Moment finden, um das Weinen ausklingen zu lassen)
- Lachen
- Zuneigung (z.B. 20-Sekunden-Umarmungen)
- Kreatives (wie malen, zeichnen, schreiben, Musik, usw.)
Alkohol, Drogen, schnelles Autofahren, viel abgestumpfter Sex oder andere Strategien, die versuchen Gefühle zu verdrängen oder zu überschatten funktionieren meist langfristig nicht gut – sie speichern Stress und Gefühle im Körper. Wenn diese nicht verarbeitet werden, kommen sie immer wieder hoch; was im schlechtesten Fall zu mehr Risikoverhalten führt. Deswegen am besten an die Metapher mit der Melodie denken und auf den Schummelzettel schauen, wenn du dich festgefahren fühlst.
Last but not least, gibt es noch zwei wichtige „Heilmittel“gegen Liebeskummer. Erstens: Die Beziehung zu dir selbst. Die Beziehung zu dir zu stärken kann verschieden aussehen – hör da auf dich (am besten so liebevoll, wie du deinen Lieblingsmenschen zuhörst). Das kann heißen, sich allein ins Kino, Museum oder auf einen Ausflug einzuladen. Oder sich eigener Bedürfnisse, Wünsche und Ziele bewusst zu werden und aufzuschreiben. Es kann auch heißen, Qualitäten oder Aspekte von der Person/Beziehung, die du verloren hast, mit/in dir selbst zu pflegen. Beispiel: Wenn du an der Ex-Person mochtest, dass sie aufmerksame Geburtstagsgeschenke gestaltet oder immer einen smarten Witz parat hat, kannst du diese Qualitäten in dir kultivieren und in deine bestehenden Beziehungen integrieren.
Das zweite Secret Ingredient, hast du (sorryyy) nicht in der Hand: Zeit. Wunden brauchen Zeit, um zu verheilen – auch wenn wir sie nicht wieder aufkratzen (wollen). Manche Liebeskummers dauern ein paar Stunden, manche ein paar Jahre und andere kommen alle paar Jahre kurz mal wieder zurück. Hier brauchst du vielleicht die Strategie Geduld. Mit dir und dem Leben.
Quellen und Buchtipps
- Buch: „Burnout: Solve your Stress Cycle” von Emily & Amelia Nagoski
- Buch: „Polysecure” von Jessica Fern (siehe Kapitel 9 über die sichere Bindung zu sich selbst)
Du hast Fragen? feelings@queer.lu
Illustration: Lynn Kelders