Es ist Pride-Monat, es ist Pride-Woche, und viele von uns verbringen Zeit damit, über das Ereignis selbst nachzudenken – seine Bedeutung, seine Auswirkungen. Welche Errungenschaften können wir feiern, und in welchen Bereichen müssen wir etwas ändern, anhalten oder weiterführen? Was ist unser individueller Beitrag? Und vor allem: Was bleibt über diese Überlegungen hinaus bestehen? Einen Teil der Antwort finden Sie vielleicht bei den verschiedenen Veranstaltungen des Pride-Festivals, wo Sie mit Vertreter*innen des Queer-Aktivismus und der Kultur sprechen können, aber vielleicht können wir auch über die Pride hinausschauen.

Ich glaube, dass das Äußere das Innere bestimmt, und dass die Barriere dazwischen der Ort ist, an dem Magie und Entscheidungen stattfinden. Ich verwende oft die Fotografie als Analogie. Eine Fotografie ist ein gerahmter Schnappschuss von einem Fragment von etwas. Wenn man ein Foto von einer Hand sieht, weiß man, dass der Rest des Körpers da ist, gleich hinter dem Rahmen. In ähnlicher Weise können wir über den Rahmen der Pride hinausblicken und nach Analogien in breiteren Kontexten suchen, um unsere eigenen Erkundigungen zu lenken. Und ich habe einen guten Ansatzpunkt für Sie.

Was bleibt also? Dieser Frage gehen 32 internationale Künstler*innen in der Kunstausstellung „My Last Will“ nach, die von dem deutsch-luxemburgischen Künstlerduo M+M (Marc Weis und Martin De Mattia) im Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain kuratiert wird. Diese Frage ist in den letzten Jahren, die von einer globalen Pandemie, einer beschleunigten Digitalisierung, von Kriegen, die nicht weit von unseren Grenzen entfernt toben, und von einer Klimakrise, die von den Machthabern oft ignoriert wird, besonders aktuell geworden.

Die Antworten werden sowohl in dem Kunstbuch „My Last Will“, das selbst ein konzeptionelles Kunstwerk ist (käuflich zu erwerben), als auch in der Ausstellung präsentiert. Das Buch verlangt von den Leser*innen eine Entschleunigung, da seine Seiten versiegelt sind und mit einem Messer einzeln aufgeschlitzt werden müssen – ein Vorgang, der leicht über eine Stunde dauern kann. Diese Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment spiegelt sich auch in anderen Werken wider. Eines der ersten, das man beim Betreten der Galerie sieht, ist eine monumentale LED-Anzeige im Foyer, die schnell Zahlen zählt. Das Werk mit dem Titel „Death Counter“ von Santiago Sierra ist beunruhigend, sobald man erkennt, dass die Zahlen für die weltweiten Todesfälle stehen. Es regt zum Nachdenken an: Könnte ich nur eine weitere unbedeutende Zahl sein, oder ist es den Versuch wert, etwas zu bewirken?

Wenn man die Hauptgalerie im ersten Stock betritt, wird man sofort aufgefordert, über seine eigenen Werte und sein Wesen nachzudenken. Die hyperrealistische Roboterpuppe namens Annelies, die vom Künstlerduo L.A. Raevens – Zwillingsschwestern – geschaffen wurde, stellt sich einem entgegen. Annelies dient als dritter Zwilling und wird wahrscheinlich ihre biologischen Gegenstücke überleben. (Tipp für die Betrachter: Versuchen Sie, sie sanft zu trösten, indem Sie ihre Schulter berühren, … es könnte Ihnen kalt den Rücken runterlaufen.) Dieses Konzept einer bleibenden Erinnerung findet sich auch in dem Film „Madri“ eines anderen Duos, MASBEDO, wieder. Die Hauptszene zeigt ein leeres altes Kino, in dem Großaufnahmen von Venen, faltigen Händen, Armen und Gesichtern älterer Frauen auf die Leinwand projiziert werden. Der Film wird ohne Ton präsentiert und bietet minimalistische und intime Körperbilder in einem leeren Raum. Es ist eine schöne Hommage an die Mutterschaft und damit an die Menschheit selbst.

Einige Künstler*innen setzen ihre politischen Kämpfe fort, wie der kolumbianische Künstler Iván Argote oder Lara Almarcegui. Indem er leere Sockel von Statuen, wie die von George Washington, mit daraus sprießenden Pflanzen darstellt, hinterfragt und kommentiert Iván unmittelbar die anhaltende Notwendigkeit, koloniale Figuren und die Vorherrschaft einer Kultur über eine andere zu feiern. Er hofft auf ein Ende dieser Praxis und einen Perspektivwechsel. Lara hingegen konzentriert sich auf den Landbesitz und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen. Sie hält Rechte an unberührten Naturschutzgebieten in der Nähe von Oslo und will verhindern, dass Unternehmen Bergbau betreiben und diese Gebiete, die seit Millionen von Jahren unberührt geblieben sind, zerstören.

Andere Künstler*innen beschäftigen sich mit der Selbstreflexion, wie in Keren Cytters Filmessay „Psycho the rapist“. Es zeigt einen Mann, der auf der Couch eines Therapeuten liegt und sich als Keren Cytter vorstellt. Ist er eine Version der israelischen Künstlerin – ein Alter Ego? Inmitten von Verwirrung und Identitätskrisen scheint es unmöglich, einen klaren „letzten Willen“ zu haben. Es stellen sich Fragen: Wer bin ich wirklich? Welche Kontrolle habe ich? Und vor allem: Wie wirkt sich das alles auf mich und andere aus?

Ein Aspekt, den ich an der Ausstellung besonders schätze, ist die Tatsache, dass andere Künstler*innen Arbeiten wie die von Iván ergänzen, indem sie Anleitungen zur Navigation durch diese komplexen Themen anbieten. Die luxemburgische Künstlerin und Musikerin Su Mei-Tse ist ein Beispiel für diesen Ansatz. Ihre Arbeit zeigt zwei Hände, die ein Gefäß auf einer Töpferscheibe formen. Manchmal fällt das Gefäß in eine unvollkommene Form zusammen, ein anderes Mal bleibt es intakt. Interessanterweise ist der Prozess kontinuierlich und endet nie, was den Wert der Präsenz und Aufmerksamkeit für die Anforderungen des Augenblicks unterstreicht. 

Die Rolle des Humors bei der Bewältigung der Herausforderungen des Lebens wird in Olaf Breunings „Untitled“ hervorgehoben. Die sechsteilige Fotoserie zeigt eine Abfolge von Selfies, in denen das Gesicht des Künstlers nach und nach verschwindet, bis auf dem letzten Bild statt seines Gesichts ein kleines gelbes Daumen-hoch-Emoji zu sehen ist. Manche mögen dies als Zynismus interpretieren, doch die Arbeit unterstreicht, dass Humor ein wichtiges Instrument sein kann, um inmitten ständiger Schwierigkeiten durchzuhalten. Die Kuratoren haben selbst versucht, dem Raum etwas Leichtigkeit zu verleihen, insbesondere durch die Verwendung eines leuchtend gelben Teppichs, der die einzelnen Ausstellungsräume miteinander verbindet. Die gewählte Farbe wirkt als positives, erdendes Element und vermittelt ein Gefühl des Optimismus oder zumindest der Neutralität, das ein erfrischendes Gegengewicht zu den ernsteren Themen bietet.

M+M haben ein breites Spektrum an Werken, die unterschiedliche Perspektiven und Ansätze von Menschen mit verschiedenen sozialen, kulturellen und religiösen Hintergründen zeigen, zusammengetragen. Ein zentrales Thema der Ausstellung ist das Ausmaß, in dem wir alle bewusst gestalten, wer sich an uns erinnern wird und wie. Persönliche Zweifel und Ängste sind real und machen es leicht, sich ausgegrenzt oder allein zu fühlen. Die Werke der Künstler*innen erinnern uns jedoch daran, dass das Erbe nicht nur ein passives Nachspiel unseres Lebens, sondern ein aktiver, fortlaufender Prozess, ist. Indem wir uns mit der Gegenwart auseinandersetzen und über unsere Spuren nachdenken, tragen wir dazu bei, dass unsere Existenz und unser Handeln in der Zukunft gewürdigt werden, unabhängig von unseren Kämpfen und Überzeugungen. Die Beantwortung der Frage „Was bleibt?“ bedeutet, nach Sinn und Bedeutung in unserem Leben zu suchen – ein Streben, das ein universelles Unterfangen ist, das alle Menschen teilen.

Die Ausstellung My Last Will ist bis zum 8. September 2024 im Casino Luxembourg zu sehen.


Teilnehmende Künstler*innen: Loukia Alavanou, Lara Almarcegui, Carlos Amorales, Ivàn Argote, John Bock, Mohamed Bourouissa, Olaf Breuning, Chicks on Speed, Clément Cogitore, Keren Cytter, Marcel Dzama, Hanakam & Schuller, Su Hui-Yu, Mire Lee, Erik van Lieshout, Renzo Martens, MASBEDO, Christodoulos Panayiotou, Cesare Pietroiusti, Agnieszka Polska, PPKK (Schönfeld & Scoufaras), L.A. Raeven, Ricarda Roggan, Santiago Sierra, Shelly Silver, Su-Mei Tse, Raphaela Vogel, Simon Wachsmuth, Clemens von Wedemeyer, Tobias Zielony, Thomas Zipp, und Portia Zvavahera.

Foto: Jessica Theis