„[Bisexualität ist] das Potenzial, sich romantisch und/oder sexuell zu Menschen von mehr als einem [Geschlecht] hingezogen zu fühlen, nicht notwendigerweise zur gleichen Zeit, nicht notwendigerweise auf die gleiche Art und Weise und nicht notwendigerweise im gleichen Ausmaß.“


– Robyn Ochs, 2009

Seit ich 2020 von meinem Auslandsjahr in Glasgow nach Luxemburg zurückgekehrt bin, bin ich als ortszuständige Bisexuelle auf der verzweifelten Suche nach einem Ort, an dem ich zur LGBTQ+-Community des Großherzogtums „gehören“ kann. 2022 begann ich an dem einen oder andern CIGALE-Gruppentreffen teilzunehmen, und das allgemeine Feedback in diesen Kreisen war einhellig: „Es gibt hier nicht viel für die queere Community“. Das Centre LGBTIQ+ CIGALE ist ein Community-Zentrum in Luxemburg-Stadt, das sich auf Unterstützung, Empowerment, Bildung und Forschung zu queeren Themen konzentriert. Diese Stimmung innerhalb der Gruppe war sehr bedrückend, und sie wurde von mehreren Altersgruppen und verschiedenen Sexualitäten geteilt. Damals gab es nicht einmal mehr eine Schwulenbar. Wir hatten alle eine etwas defätistische Einstellung, saßen um einen Tisch in einer eigens dafür vorgesehenen, umfunktionierten Wohnung in Luxemburg-Stadt und beschwerten uns hauptsächlich über irgendwelche Sachen. Die COVID-19-Pandemie hatte unsere Vorstellungen von dem, was möglich war, verwässert und verzerrt. Wie konnten wir das überwinden?

Und dann, scheinbar aus dem Nichts, kam irgendwann im letzten Jahr ein queerer „Boom“: Mehr Partys (u.a. Banana und LaFancy), die Eröffnung des Rainbow Centers im Herzen von Luxemburg-Stadt, die Eröffnung des Letz Boys (ebenfalls sehr zentral gelegen), der erste Pride Run und die Fülle der Pride-Aktivitäten im Jahr 2023 war derart umfangreich, dass ich trotz all meines Enthusiasmus nicht das gesamte Programm in Esch-sur-Alzette durchhalten oder alle damit verbundenen Veranstaltungen besuchen konnte…
Es ist jedoch kein Geheimnis, dass die meisten queeren Partys in Luxemburg vor allem von schwulen Männern besucht werden (das “Letz Boys” heißt nicht grundlos so). Ich war auf jeder Party und habe versucht, mir einen Platz zu verschaffen, oder besser gesagt, mich von meiner Zugehörigkeit zu überzeugen. Glücklicherweise habe ich dabei einige Freunde gefunden, aber ich konnte meine bi+ Gemeinschaft immer noch nicht finden. Einen bisexuellen Menschen in der „freien Wildbahn“ zu finden, unabhängig vom Geschlecht, war ein bisschen wie ein vierblättriges Kleeblatt zu finden. So selten; so ein Glück! (Tatsächlich liegt die Chance, ein vierblättriges Kleeblatt zu finden, bei 0,01 %, während bisexuelle Menschen etwa 1,3 % der Bevölkerung ausmachen).

Für einige meiner neuen (heterosexuellen) Bekannten war es seltsam, dass ich mich so fühlte, und auch für die meisten meiner queeren Freunde war es seltsam, denn sie schienen nicht ganz zu begreifen, worum es mir ging. 

Was ist so besonders an Bisexualität, warum war ich so fest entschlossen? 

Nun, Bisexualität ist nicht nur eine sexuelle und persönliche Neigung, sie ist eine Identität. Sie ist eine Art und Weise, die Welt zu erleben, und kann Menschen oft dazu bringen, Geschlechternormen und heteronormative Annahmen zu dekonstruieren. Es geht auch darum, die Dating-Szene auf den Kopf zu stellen und vorgefasste Meinungen über Sex und Beziehungen in Frage zu stellen.

Dazu gehören auch altmodische Binaritäten und Mangel an Intimität in der heutigen hyperindividualistischen Gesellschaft.

Die beste Metapher, die mir für Bisexuelle einfällt, sind vielleicht Meerjungfrauen (eine schon immer vorhandene Faszination von mir): kein Fisch, kein Mensch, ein eigenständiges Wesen, das oft gefürchtet ist und oft seinen Schwanz verstecken muss, wenn es unter Menschen lebt. Merke: Egal wo sie leben, sie sind immer noch Meerjungfrauen.

Was ist so wichtig daran, Gleichgesinnte zu finden, vielleicht besonders für bi+ Personen? Obwohl sie zwischen 50 und 70 % der LGBTQ+-Gemeinschaft ausmachen, werden bestimmte Erfahrungen, die für diese Untergruppe typisch sind (der große Begriff „bi+“ umfasst pansexuelle, bisexuelle, omnisexuelle, fluide, queere, asexuelle und andere freie Identitäten), in lokalen Gruppen oder bei Veranstaltungen selten thematisiert. Bestimmte spezifische und gemeinsame Bi+-Kämpfe können daher ziemlich isolierend wirken. Bi+ Menschen fühlen sich in der Regel unsichtbar und als Außenseiter*innen – für die einen zu heterosexuell, für die anderen zu schwul -, was es ihnen erschwert, sich zu outen oder sich in der queeren Community wohl zu fühlen. Bisexualität wird oft in Frage gestellt, obwohl man oft einfach „weiß“ oder fühlt, dass man bisexuell ist, ähnlich wie man weiß, dass man schwul oder heterosexuell ist. Man sollte weder sich selbst noch anderen gegenüber jemals einen „Beweis“ erbringen müssen. Darüber hinaus wird die bisexuelle Identität oft vergessen oder „fetischisiert“, wobei wilde Annahmen über das Dating-Leben, die sexuellen Interessen und/oder die Verfügbarkeit getroffen werden (z. B. gehen Heteromänner davon aus, dass bi+ Frauen so gut wie immer an einem Dreier mit einer anderen Frau interessiert sind).

Bi+ Menschen haben statistisch gesehen auch ein höheres Risiko für psychische Probleme und Gewalt in der Partnerschaft. Der hohe Stress, der aus Diskriminierung und Isolation resultiert, kann auch dazu beitragen, dass in der Bi+-Gemeinschaft mehr geraucht und Drogen konsumiert werden. Hier könnte die gegenseitige Unterstützung eine wichtige Rolle spielen.

Je mehr queere Freund*innen ich fand, desto mehr fühlte ich mich in diesen immer noch seltenen queeren Räumen legitimiert. Aber ich konnte immer noch nicht die lokalen bi+ Menschen oder Menschen finden, die diesen „nicht-dualen dualen“ Teil von mir verstanden. Ich wollte mich wirklich nicht mehr verstecken, aber ich verstand auch, dass ich als Meerjungfrau, die andere Meerjungfrauen an Land treffen möchte, die Initiative ergreifen musste. Also beschloss ich, mit der Organisation von Treffen zu beginnen. Das tat ich über die MeetUp-App: Bei den ersten beiden Veranstaltungen kamen 4-5 Leute zusammen, aber beim nächsten Treffen, einem Café-Treffen, kam niemand… Ich trug mein rosa-lila-blaues Regenbogen-T-Shirt und las ein Buch mit dem Titel „bi: Die verborgene Kultur, Geschichte und Wissenschaft der Bisexualität“ von Julia Shaw und saß ganz allein im Café Konrad, obwohl 7 Leute auf MeetUp zugesagt hatten. Es war ein unglaublich schreckliches Gefühl. Kurz nach dieser Erfahrung bat ich das CIGALE im letzten Sommer, eine Gruppe zu gründen. 

In diesem Frühjahr ging mein Wunsch endlich in Erfüllung. Das erste Panbi+ Gruppentreffen bei CIGALE gab mir das Gefühl, immer noch zu träumen – es kamen über 20 Leute, von denen ich einige schon mal getroffen oder von weitem gesehen hatte. Ich empfand ein Gefühl der Zugehörigkeit und Wärme wie nie zuvor. Natürlich habe ich sofort zugesagt, die Gruppe mitzuorganisieren, obwohl ich eigentlich einen lächerlich vollen Terminkalender hatte. Ich bin so dankbar und stolz, dass wir endlich das B in LGBTQ+ in Luxemburg hervorheben, auch wenn dies erst der Anfang ist.

Es ist in Ordnung, wenn du noch nicht bereit bist, dich mit uns zu treffen, aber wenn du eine*r von uns bist, dann solltest du wissen, dass es eine engagierte Selbsthilfegruppe gibt, selbst an einem kleinen Ort wie Luxemburg, und dass du nicht allein bist. 

Wir sind gerade dabei, Veranstaltungen, Workshops und Ausflüge für die Zukunft zu planen, und wir freuen uns auf die Bisexuality Visibility Week (16.-23. September 2024), für die wir eine besondere Veranstaltung planen.

Meiner Erfahrung nach kann das Coming-out bei einer vertrauten Person manchmal dazu führen, dass diese sich auch outet. Oder zumindest kann es zu tieferen und ehrlicheren Gesprächen führen und die Bindung stärken. 

Insgesamt könnten wir alle ein bisschen mehr Sichtbarkeit gebrauchen. Bei Bisexualität geht es nicht nur um das Geschlecht oder das Gender de*r jeweiligen Partner*in. Wir sollten sie als die umfassende Identität, die sie darstellen kann, wieder für uns beanspruchen. Bi+-Personen wissen die wunderbare Vielfalt der Menschen zu schätzen, sie können unabhängig vom Gender lieben und tiefe Freundschaften schließen, und sie haben oft eine andere, manchmal einzigartige Perspektive auf all diese Liebes- und Genderfragen.

Foto: Shutterstock

Artikel aus dem Englischen übersetzt