Seit dem 13. März 2024 ist, im Untergeschoss des Musée National de la Résistance et des Droits Humains in Esch/Alzette, die neue Wechselausstellung über die „Vergessenen Opfer des NS-Regimes in Luxemburg“ zu sehen. Die Ausstellung erzählt die bislang unbeachtete – teils unbequeme – Geschichte von gleich acht Opfer(gruppen), darunter auch die homosexueller Männer.
Nach dem Krieg wurde die öffentliche Erinnerung in Luxemburg von den ehemaligen Widerstandskämpfern und den Zwangsrekrutierten geprägt. In dem geführten Erinnerungskampf der beiden Gruppen war kein Platz für die zahlreichen zivilen Opfer, die aus (sozial-)rassistischen Gründen von den NS-Besatzern verfolgt wurden. Die Anerkennung als NS-Opfer war mit einem hohen sozialen Status und dem Anspruch auf staatliche Sonderzahlungen verbunden. Das fehlende gesellschaftliche, aber auch geschichtswissenschaftliche Interesse an dem Schicksal (sozial-)rassistisch verfolgter Minderheiten führte zu einer späten Aufarbeitung. Erst seit den 2010er-Jahren wird dem Schicksal der Jüdinnen und Juden im Land mehr Aufmerksamkeit beigemessen. Andere Menschen(gruppen), wie z.B. Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Schwarze Menschen, Sinti und Jenische oder Menschen mit geistigen oder körperlichen Gebrechen, werden bis heute ignoriert. Bis heute erinnern – teilweise nur auf Initiative entsprechender Interessenvereinigungen wie z.B. Rosa Lëtzebuerg – nur wenige Mahnmale oder Gedenkveranstaltungen an die Opfer.
Die Ausstellung „Vergessene Opfer“ versucht den Besucher*innen aber nicht nur, das rassische und eugenische Denken der Nationalsozialisten zu erklären, sondern auch deren Ursprünge zu definieren.
Der Begriff der Eugenik entwickelte sich beispielsweise im 19. Jahrhundert aus der Evolutionstheorie von Charles Darwin heraus. Auf die Menschen angewendet, sollte das darwinistische Prinzip der „natürlichen Auslese“ die Eliminierung von „Minderwertigen“ rechtfertigen. In Deutschland entstanden ähnliche Ideen unter dem Begriff der „Rassenhygiene“. In den Vereinigten Staaten und in Skandinavien führten eugenische Gesetze zur massenhaften Zwangssterilisierung von als „geistig beeinträchtigt“ klassifizierten Angehörigen indigener Bevölkerungsgruppen. Auch in Luxemburg gewannen Rassendenken und Eugenik in der Zwischenkriegszeit an Einfluss, was sich unter anderem anhand sogenannter „Menschenzoos“ auf der Schueberfouer oder 1927 am gescheiterten Gesetzesentwurf zur Einführung eines ehelichen Gesundheitszeugnisses bemessen lässt. Rassisches und eugenisches Denken waren Anfang des 20. Jahrhunderts somit weit verbreitet und akzeptiert, auch in demokratischen Ländern.
Mit dem Ziel den „deutschen Volkskörper“ zu vervollkommnen, versuchten die Nationalsozialisten als abweichend empfundene politische oder soziale Verhaltensweisen (z.B. Homosexuelle) zu bekämpfen, „Erbkrankheiten“ (z.B. Menschen mit Behinderungen) und „Fremdkörper“ (Juden, Sinti und Roma) zu beseitigen. Im Gegensatz zu den Interessen der „Volksgemeinschaft“ zählten im NS-Staat die Rechte des Einzelnen nicht.
Innerhalb dieser auf rassenhygienischen Ideen fußenden Ideologie der Nationalsozialisten galten homosexuelle Männer beispielsweise als staatszersetzend.
Sie würden zum einen die Jugend verderben und zum anderen durch ihre Kinderlosigkeit keinen Beitrag zur Stärkung der „Volksgemeinschaft“ leisten. Homosexualität wurde bereits im Deutschen Kaiserreich mit der Einführung des §175 strafrechtlich verfolgt. Die Nationalsozialisten verschärften jedoch den §175 um den §175a, wodurch deutlich längere Haftstrafen verhängt werden konnten. Bei der Verfolgung unterschieden die Nationalsozialisten zwischen den „Verführten“ und den „Verführern“. Während Erstere durch „Umerziehung“ – insbesondere durch harte Zwangsarbeit – wieder in die „Volksgemeinschaft“ integriert werden könnten, müssten Letztere aus der Gemeinschaft entfernt werden. So konnten sie, wenn sie mehrfach vorbestraft waren, in „Schutzhaft“ genommen und zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ in Konzentrationslager deportiert werden. Dort wurden sie mit dem „Rosa Winkel“ markiert. Insgesamt wurden ca. 50.000 Männer aufgrund ihrer Sexualität verurteilt. Zwischen 5.000 und 10.000 Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo viele von ihnen umkamen oder bei Mordaktionen getötet wurden.
Der §175 beeinflusste die Lebenswelt sämtlicher Homosexueller im Reich und somit auch die lesbischer Frauen.
Insgesamt wurden sexuelle Beziehungen zwischen Frauen im „Dritten Reich“ nicht nach §175 verfolgt. Dies lag unter anderem daran, dass im männerdominierten NS-Staat Frauen keine politische Rolle spielten und somit weniger als Bedrohung für den Fortbestand des Regimes galten. Auch der Fortbestand der deutschen „Volksgemeinschaft“ geriet aus ihrer Sicht durch weibliche Homosexualität nicht in Gefahr, da man Frauen zur Not zur Fortpflanzung zwingen konnte. Der Nachweis weiblicher Homosexualität wurde zudem als schwierig erachtet, da Frauen eher unauffällig in langjährigen gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen lebten als Männer. Lesbischen Frauen drohte der Entzug des Sorgerechts ihrer Kinder und der gesellschaftliche Ausschluss. Eine von Männern unabhängige Existenz wurde Frauen allgemein verwehrt. Zeitschriften für „Freundinnen“, entsprechende Lokale und Organisationen wurden verboten oder geschlossen. In Strafverfahren wirkte bei Frauen Homosexualität als straferschwerend und in Konzentrationslagern riskierten sie Opfer von Gewalt und Zwangsprostitution zu werden. Eine genaue Anzahl der Opfer ist aufgrund der noch jungen Forschung jedoch nur schwer zu ermitteln.
Während in NS-Deutschland homosexuelle Männer, unter anderem, bereits (hohe) Haft- und KZ-Strafen zu befürchten hatten, wurden in Luxemburg homosexuelle Beziehungen noch nicht strafrechtlich verfolgt.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass Homosexuelle gesellschaftlich akzeptiert gewesen wären. Homosexualität war ein Tabu, über das in der Presse oft im Zusammenhang mit Straftaten berichtet wurde. Dies schürte in der Bevölkerung homophobe Ressentiments. Homosexualität wurde – auch von der Kirche – als „unnatürlich“ und als Gefahr für die Jugend verstanden. Homosexuelle Luxemburger riskierten, sozial ausgegrenzt zu werden. Homosexuelle Ausländer hingegen konnten des Landes verwiesen werden. Kurz vor der Annexion Luxemburgs kam es im Januar 1940 auf Ministerialebene zu ersten Initiativen, um Homosexualität strafbar zu machen, was jedoch erst unter den Nationalsozialisten realisiert wurden.
Nach der Besetzung Luxemburgs erhielt Gauleiter Gustav Simon den Auftrag, als sogenannter Chef der Zivilverwaltung, für die „Eindeutschung“ und „Säuberung“ der Luxemburger Bevölkerung zu sorgen. Sämtliche Dienststellen der NSDAP und des Staates wurden zu deren Verfolgung mobilisiert. Die politische und „rassenhygienische“ Unterdrückung wurde neben der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) auch von den nach NS-Muster umgestalteten Verwaltungs-, Justiz- und Gesundheitssystemen übernommen. Ab September 1940 wurden die antisemitischen Rassengesetze im Land eingeführt. Weitere „rassenhygienische“ Maßnahmen sollten folgen: Homosexualität wurde erstmalig zum Straftatbestand.
Kurz darauf kam es zu den ersten Festnahmen. Für die Verfolgung von homosexuellen Männern waren die Kriminalpolizei (Kripo) und die Gestapo zuständig. Die meisten Männer wurden während Razzien und aufgrund von Denunziationen verhaftet. Bei ihren Urteilen entschieden die deutschen und luxemburgischen Richtern sehr unterschiedlich. Die meisten Angeklagten wurden zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Nur diejenigen, die man als eine Gefahr für die „Volksgemeinschaft“ und die Jugend ansah, erhielten mehrjährige Haftstrafen. Insgesamt wurden ca. 30 luxemburgische Männer aufgrund der §§175 und 175a verurteilt. In den Haftanstalten sollten die verurteilten Männer durch harte Arbeit umerzogen werden. Nur wenige wurden vor oder nach ihrer Strafe in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager verschleppt, wo sie den „Rosa Winkel“ erhielten. So markiert, waren sie den Misshandlungen der Wachmannschaften und ihrer Mithäftlinge ausgesetzt.
Aufgrund fehlender historischer Recherchen bleibt die NS-Verfolgung lesbischer Frauen aber auch die von Trans*-Personen in Luxemburg weiterhin im Dunkeln. Die Ausstellung dient somit auch der Inspiration anderer Historiker*innen bzw. Forscher*innen sich auch diesen Opfer(gruppen) anzunehmen.
Hinter diesen oft komplexen und sehr unpersönlichen Verfolgungsmechanismen wird versucht den Besucher*innen auch die persönlichen Schicksale hinter der NS-Verfolgung näherzubringen. Dieser Linie treu bleibend, soll dieser Beitrag mit drei Beispielbiografien enden, welche die verschiedene Fälle von Gefängnis- über KZ-Haft bis hin zur Intersektionalität abdecken.
Dabei soll mit dem bis heute einzigen Fall einer im Land verfolgten lesbischen Frau begonnen werden.
Die 1899 geborene Gertrud Schloß entstammte einer jüdischen Familie aus Trier. Die Schriftstellerin war seit ihrer Jugendzeit politisch aktiv: Sie war Mitglied der Friedens- und der Frauenbewegung; als Journalistin und Schriftstellerin kritisierte sie den Nationalsozialismus. Sie war lesbisch und ging in ihren Texten ganz offen mit ihrer Homosexualität um. 1939 flüchtete Gertrud zu ihrer Mutter und ihrem Bruder ins luxemburgische Walferdingen. Während ihres Aufenthaltes in Luxemburg lebte sie unter anderem von den Einnahmen, die sie durch die Veröffentlichung ihres Romans „Zwischen Pflicht und Liebe“ im Escher Tageblatt bekam. Gertrud hoffte, von Luxemburg aus in die USA auswandern zu können, was jedoch misslang. Nach der Annexion Luxemburgs wurde sie 1941 ins „Jüdische Altersheim“ in Fünfbrunnen transportiert und am 16. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Einige Monate später, vermutlich im Januar 1942, wurde sie im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) ermordet.
Gertrud Schloß ist ein gutes Beispiel für Intersektionalität. Eine Bezeichnung dafür, dass Menschen gleichzeitig mehreren Formen von Unterdrückung oder Diskriminierung ausgesetzt sein können. Eine Person kann somit einer ethnischen Minderheit angehören, in dem Fall jüdisch, und gleichzeitig homosexuell sein. Sie kann also gleichzeitig Opfer von Rassismus und Homophobie sein.
Der 40-jährige Landwirt Michel Regenwetter aus Bissen hingegen wurde im August 1941 für sieben Monate im Gefängnis in Luxemburg-Grund verurteilt. Dies unter anderem wegen „deutschfeindlicher Betätigung“. Noch während seiner Haft wurde er erneut vor dem Landgericht angeklagt: Er soll im Frühjahr 1941 Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt und somit gegen den §175 verstoßen haben. Hierfür wurde Michel zu weiteren zehn Monaten Haft verurteilt. Am 12. Januar 1943 wurde er wieder entlassen. Nach dem Krieg erhielt Michel einen Eintrag im Livre d’Or de la Résistance, jedoch nur als Anerkennung für seine Aktivitäten im Widerstand.
Auch der 1922 in Lintgen geborene Student Jean Birckel wurde später unter anderem im Livre d’Or de la Résistance aufgeführt. Der Leidensweg des 19-jährigen Mannes führte ihn zunächst ins Gefängnis in Luxemburg-Grund, dann ins KZ Hinzert und anschließend in die Gefängnisanstalt von Wittlich. Im Mai 1942 wurde er ins KZ Sachsenhausen deportiert, wo er als Homosexueller registriert wurde. Zwei Monate später, am 3. Juli 1942, wurde er dort zusammen mit anderen Häftlingen mit dem „Rosa Winkel“ im Rahmen einer „Mordaktion“ umgebracht. Um diese zu vertuschen, wurde in Jean‘s Totenschein später „Schussverletzung bei Fluchtversuch“ vermerkt.
Neben der Verfolgung von Homosexuellen thematisiert die Ausstellung „Vergessene Opfer des NS-Regimes in Luxemburg“ noch weitere Opfer(gruppen), darunter:
Zeugen Jehovas, Jenische, Sinti und Roma, (angebliche) Prostituierte, Schwarze Menschen, als „asozial“ verfolgte und vorbestrafte Menschen, sowie Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung.
Die Ausstellung wird noch bis zum 22. Dezember 2024 im Museum zu sehen sein.
Sie wird begleitet von zwei Sammelbänden, darunter ein pädagogischer Ausstellungskatalog sowie einem wissenschaftlichen Begleitband mit den Forschungsresultaten der Historiker*innen Daniel Thilman, Frédéric Stroh, Kathrin Mess, André Marques, Vincent Artuso und Jérôme Courtoy.
Foto: Ronnie Gerber