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Es ist der 24. Dezember. Laura sagt ihre Präsenz bei der Weihnachtsfeier ab. Es ist Tag 28 ihres Zyklus und sie geht sich noch das Wichtigste zum Essen einkaufen.
Laura wohnt nicht in einem Krisengebiet, sondern hat ihre ganz eigene Krise bei sich im Uterus. Oder eher im ganzen Körper. Laura lebt mit der Diagnose Endometriose und jede Menstruation ist wie ein Lauffeuer, das sich durch ihren Körper drängt. Lauffeuer sind jedoch meist schnell wieder vorbei, bei Endometriose sieht das anders aus.
Laura hatte schon viele Momente wie diese. Und sie ist nicht die einzige. Endometriose ist eine Krankheit, die etwa jede zehnte menstruierende Person betrifft und doch in der Medizin oft als unsichtbar gilt. In Luxemburg gibt es bislang keine Statistiken dazu, weder zur Anzahl der Diagnosen noch zu den Betroffenen. So bleiben viele Fälle unentdeckt und das tatsächliche Ausmaß der Erkrankung bleibt im Dunkeln. Die World Health Organisation geht von weltweit ca. 190 Millionen Betroffenen aus. Obwohl Endometriose eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen ist, wird sie in der medizinischen Forschung und Gesundheitspolitik oft vernachlässigt.
Die World Health Organisation geht von weltweit ca. 190 Millionen Betroffenen aus.
„Das ist doch nicht so hoch wie die Zahl an Krebspatienten“, antwortet Pit Laura an ihrem ersten Arbeitstag. Doch warum diese Zahl so niedrig ist, obwohl doch anscheinend so viele davon betroffen sind, ist genau das Problem. Die niedrige offizielle Zahl liegt nicht daran, dass Endometriose selten ist, sondern daran, dass sie oft unerkannt bleibt.
Endometriose ist eine chronische Erkrankung, bei der das Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Endometriose gibt es schon seit immer, es ist die Diagnose, bei der es scheitert. Symptome äußern sich oft sehr unterschiedlich, schreibt sante.lu in einem publizierten Forschungsartikel, “manchmal dominieren Schmerzen, in einem anderen Fall führt sie zu ungewollter Kinderlosigkeit, zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme (z. B. Nieren, Darm) oder sie schädigt langsam und fortschreitend innere Organe, ohne überhaupt bemerkt zu werden.”
Ursachen für diese verzögerten Diagnosen sind u. a. mangelnde Forschung, fehlendes Bewusstsein im Gesundheitswesen, Fehldiagnosen und die Normalisierung von Schmerzen bei menstruierenden Personen. Oft wird erst nach vielen Jahren erkannt, dass es sich um Endometriose handelt. Doch warum wird eine Krankheit, die fast ausschließlich FLINTA* betrifft, so wenig erforscht und diagnostiziert?
Es ist nicht nur mangelndes Wissen, sondern auch gezieltes Ignorieren. Reproduktive Gesundheit, einschließlich Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Menopause, wurde lange Zeit als „Frauenthema“ abgetan und nicht als ernstzunehmendes medizinisches Feld betrachtet. Dies hat dazu geführt, dass die Forschung in diesem Bereich unterfinanziert ist und es an Ressourcen fehlt. Selbst heute werden Menstruationsschmerzen oft als „normal“ abgetan, obwohl sie auf ernsthafte Erkrankungen wie Endometriose hinweisen können. Viele Betroffene berichten, dass ihre Symptome als „psychosomatisch“ abgetan werden, was auf tief verwurzelte Geschlechterstereotypen zurückzuführen ist.
Es ist nicht nur mangelndes Wissen, sondern auch gezieltes Ignorieren.
Im Patriarchat haben FLINTA* keinen Platz. Ob bei Medikamententests oder bei Studien, die Norm ist, wie gewohnt im Patriarchat, der weiße cis-Mann. Er wird als „Standard“ betrachtet, während alle anderen Geschlechter und Identitäten als Abweichung oder Ausnahme gelten. Das bedeutet, dass Medikamente, Diagnosen und Behandlungsmethoden vorrangig an ihm getestet und entwickelt werden, wodurch FLINTA* Personen systematisch ausgeschlossen werden. Systematisches Ausschließen aus der Gesellschaft bedeutet, dass Bedürfnisse, Erfahrungen und Perspektiven von Personen in wichtigen Bereichen wie Medizin, Wirtschaft und Politik ignoriert oder marginalisiert werden. Dieses systematische Ausschließen zeigt sich in fehlenden Daten, weswegen der Begriff Gender Data Gap verwendet wird.
In ihrem Buch “Invisible Women: Exposing Data Bias in a World Designed for Men“ gibt die Autorin Caroline Criado Perez unzählige Beispiele für Diskriminierung und deren Auswirkungen. Manche Dinge sind lästig, andere sind lebensbedrohlich, wie z.B. Herzinfarkte oder Autounfälle. So sind beispielsweise die meisten Crashtest-Dummys der männlichen Anatomie nachempfunden, und die Autos werden entsprechend gebaut. Bei Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem Unfall schwer verletzt zu werden, um 47 % höher als bei Männern, die Wahrscheinlichkeit, mittelschwer verletzt zu werden, um 71 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einem Autounfall stirbt, ist um 17 % höher als bei einem Mann.
Im Patriarchat haben FLINTA* keinen Platz.
So sind auch viele medizinische Erkenntnisse und Behandlungsmethoden primär auf den cis-männlichen Körper zugeschnitten. Beispielsweise können Dosierungen von Medikamenten, die an cis-Männern getestet wurden, für FLINTA*-Personen ungeeignet oder sogar gefährlich sein. Bei Endometriose, einer Krankheit, die nur Menschen mit Uterus betrifft, hat dies ganz spezifische Folgen. Hier eine Liste an fehlgeschlagenen Schritten bei der Diagnose:
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- Betroffenen wird nicht geglaubt, wenn sie zu Ärzt*innen gehen;
- Da es zu wenig Forschung gibt, kommt es zuerst zu einer falschen Diagnose;
- Betroffene werden jahrelang falsch behandelt;
- Betroffene müssen von Ärzt*innen zu Ärzt*innen und von Land zu Land gehen, um herauszufinden, was denn nun die Diagnose ist.
So sind auch viele medizinische Erkenntnisse und Behandlungsmethoden primär auf den cis-männlichen Körper zugeschnitten.
Die Zwischenschritte wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Wut werden hier ausgelassen. Endometriose Patient*innen können diese Etappen leider oft nicht auslassen. Trotz Fortschritten in der Diagnostik dauert es im Durchschnitt immer noch 7-10 Jahre, bis Endometriose diagnostiziert wird, schreibt die Endometriose Vereinigung Deutschland. Es ist nicht einfach ein Fehler im System, sondern das Resultat eines Systems, das FLINTA* nicht mitdenkt. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Betroffenen systematisch nicht geglaubt wird und Fehldiagnosen entstehen.
Lange Wartezeiten auf Facharzttermine, fehlende spezialisierte Zentren und mangelnde interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkolog*innen, Schmerztherapeut*innen und Psycholog*innen sind weitere große Probleme.
Das Patriarchat hat zwei Fäuste.
Patriarchale Strukturen wirken nicht isoliert, sondern überschneiden sich mit anderen Formen der Diskriminierung wie Rassismus, Klassismus und Transphobie. Besonders für POC (people of colour), FLINTA* Personen, Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen und trans Personen bedeutet das noch längere Diagnosezeiten, schlechtere medizinische Versorgung und ein höheres Risiko, nicht ernst genommen zu werden.
„Das wird ja jetzt aber immer besser mit dem Feminismus und so“, sagt Pit, nachdem Laura ihm die Liste mit fehlgeschlagenen Schritten aufgezählt hat. Ja, feministische Errungenschaften sind wichtig, doch sie reichen nicht aus, wenn politische Prozesse gleichzeitig gegen sie arbeiten. Wegen Petitionen, die gegen sexuelle Aufklärung in der Schule sind, müssen Aktivist*innen und Politiker*innen lauter werden, um feministische Anliegen auch in der Politik abzusichern.
Hier, als Ausgleich, eine positivere Liste, die, so glaubt Laura, ihr und anderen helfen würde:
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- Endometriose sollte im Arbeitskontext als chronische Erkrankung anerkannt werden und somit mehr Flexibilität im Arbeitsalltag ermöglichen;
- (Mehr) Spezialist*innen in ihrem Land für eine Verbesserung der Diagnostik und Reduzierung der Wartezeiten;
- Eine Kostenübernahme für verschiedene Behandlungen und Therapien;
- Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Betroffene;
- Aufklärung und Enttabuisierung in Schulen, Medien und der Öffentlichkeit.
In Luxemburg ist Endometriose zwar offiziell als Krankheit anerkannt, aber diese Anerkennung spiegelt sich noch nicht ausreichend in der Praxis wider. Entscheidend ist, dass die Politik die Erkrankung prioritär behandelt, um Forschung, Versorgung und gesellschaftliches Bewusstsein zu verbessern.
Es ist nicht einfach ein Fehler im System, sondern das Resultat eines Systems, das FLINTA* nicht mitdenkt.
„Das klingt, als müsste die Regierung einen Nationalen Aktionsplan gegen Endometriose machen.“ Pit hat vollkommen Recht. Laura könnte auf hilfreiche Therapien zurückgreifen und rückerstattet bekommen. Eine parallele psychologische Unterstützung zur Behandlungstherapie würde auch ihre mentale Gesundheit verbessern. Mit diesen politischen Schritten wäre den Menschen, die gerade anfangen Symptome zu haben und glauben, ihre Schmerzen wären normal, noch mehr geholfen. Es würde jungen Menschen helfen, sich gesehen zu fühlen, wenn über solche Themen in der Schule unterrichtet würde, ohne Scham darüber geredet und Erfahrungen geteilt werden könnten. Es als ernstzunehmende Krankheit neben Krebs oder Diabetes anzuerkennen ist nicht nur ein Satz auf einem Blatt Papier, es ist eine Anerkennung der Realität für jede 10. Person mit Uterus. Australien und Frankreich haben bereits nationale Strategien, um Endometriose besser zu behandeln, entwickelt. Dabei wurde deutlich, dass eine bessere Versorgung keine reine Gesundheitsfrage, sondern eine politische Aufgabe, die politische Lösungen erfordert, ist.
Die Aufmerksamkeit für Endometriose hat in den letzten Jahren zugenommen. Initiativen wie der „Endometriosis Awareness Month“ im März tragen dazu bei, das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen.
Feministische Bewegungen haben bereits viel für FLINTA* erreicht, z.B. die Entstigmatisierung von Verhütungsmitteln, die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in vielen Ländern und die Anerkennung von geschlechtsspezifischer Gewalt als Gesundheitsproblem. Diese Errungenschaften zeigen, dass kollektive Kämpfe wirksam sind. Laura ist derzeit vielleicht gerade nicht in der Lage die Krisen der Gesellschaft zu bewältigen, aber als Feminist*innen, so auch jetzt Pit, kämpfen wir gemeinsam, Schritt für Schritt gegen das Patriarchat; ohne Fäuste.
Infobox:
Endometriose ist eine chronische Erkrankung, bei der das Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter wächst. Manchmal dominieren Schmerzen, in einem anderen Fall führt sie zu ungewollter Kinderlosigkeit, zur Beeinträchtigung anderer Organsysteme (z.B. Nieren, Darm) oder sie schädigt langsam und fortschreitend innere Organe, ohne überhaupt bemerkt zu werden.
- Eine Krankheit, die etwa jede zehnte menstruierende Person betrifft.
- Die Diagnostik dauert im Durchschnitt immer noch 7-10 Jahre.