
DE: Eine Kolumne mit Kelly Kosel, in der an Gefühlen gefummelt, Fäden verfolgt und Themen rund um Sexualität, Körper, Intimität und Beziehungen eingeladen werden.
FR: Une chronique qui s’adresse aux émotions pour démêler certaines de vos questions sur le sexe, les relations, le corps et l‘intimité.
EN: An Advice Column that fiddles about feelings to untangle some of your questions about sex, relationships, bodies and intimacy.
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Wie gehe ich mit (unterschiedlichen) Erwartungen in Beziehungen um?
a Friends erwarten Unterstützung oder mehr Zeit. Sexpartner*innen erwarten Körperlichkeit. Beziehungspersonen erwarten, dass wir sie besser trösten. Arbeitskolleg*innen erwarten mehr Verständnis. Und wir erwarten von uns selbst einen Orgasmus. Es gibt viele verschiedene Arten und Qualitäten von Erwartungen – und manchmal setzen sie uns ziemlich unter Druck. Zusätzlich setzen wir uns selbst unter Druck, weil wir (manche) Erwartungen auch erfüllen wollen. Es gibt hier (you know it) keine allgemeinen Lösungen. Aber anbei ein paar Fragen für dich, wenn du von Erwartungen, Wünschen und Bedürfnisse mal mehr, mal weniger gestresst bist.
Erstens: Welche Gefühle und Bedürfnisse stecken hinter den Erwartungen?
Geh ein paar Schritte zurück. Oft stecken hinter Wünschen und Erwartungen nicht-gesehene Gefühle, wie angestauter Frust, Trauer oder fehlende Wertschätzung. Benenne die Gefühle. Wenn du/ihr das herausgefunden habt, kommt der nächste Schritt: Welche Bedürfnisse sind mit den Gefühlen verbunden? Zum Beispiel: Bedürfnisse nach Anerkennung, Sicherheit, Nähe, Distanz, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen, Klarheit, usw. (Tipp: Suche online nach Listen von Gefühlen und/oder Bedürfnissen in der Gewaltfreien Kommunikation). Oft verbessert sich die Situation schon, indem Gefühle und Bedürfnisse aller angesprochen werden, um sich (besser) gesehen und verstanden zu fühlen. Wenn wir die Gefühle und Bedürfnisse klar haben, können wir schauen: Welche konkreten Wünsche ergeben sich daraus? (Tipp: Google auch die 4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation.) Ein Wunsch ist keine Erwartung. Ein Wunsch darf erstmal gehört werden. Dann könnt ihr besprechen, ob und wie er erfüllt werden kann – oder auch nicht. So könnt ihr eure Erwartungen realistischer anpassen. Realistische Erwartungen nehmen den Druck raus.
Zweitens: Was sind unsere Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien?
Nicht selten stellt sich heraus, dass wir in Beziehungen unterschiedliche Strategien haben, mit Konflikten umzugehen – manche Leute wollen z.B. durch Streit wieder in Kontakt treten, während andere Streit als bedrohlich und trennend wahrnehmen. Auch wie wir innere Prozesse verarbeiten und kommunizieren, kann sich stark unterscheiden: Manche brauchen es, ihre Gedanken und Gefühle zu verbalisieren, um sie/sich zu ordnen. Andere müssen ihre Gedanken/Gefühle zuerst selbst verarbeiten, bevor sie darüber sprechen (google: internal and external processors). Hier ist es wichtig, gemeinsame Kommunikations- und Lösungsstrategien zu finden. Zum Beispiel, dass es während/nach Konflikten sowohl Zeit zum allein verarbeiten als auch für Austausch gibt. Bei nahen Beziehungen hilft es z.B. situationsbezogen Wünsche aufzuschreiben und zu besprechen oder auch regelmäßige Check-in Spaziergänge zu planen. Wenn immer wieder die gleichen Themen aufkommen, kann eine externe Person helfen (wie Mediation, Beratung oder Therapie), um gemeinsame Strategien zu ermöglichen.
Drittens: Müssen Erwartungen gleich sein?
Ab und zu reicht es, schwierige Themen und Unterschiede erstmal anzusprechen. Die Themen auf den Tisch zu legen und zu schauen, wie sie sich dadurch weiterentwickeln. Anzuerkennen, dass wir verschiedene Wahrnehmungen, Strategien und Erwartungen haben. Die Unterschiede auszuhalten und die langsamen Entwicklungen mit Geduld und Vertrauen zu begleiten.
Viertens: Woher kommt der Druck genau?
Werden die Erwartungen eher von anderen an mich gestellt? Sind es (auch) meine eigenen Erwartungen? Erwarten verschiedene Anteile in mir verschiedene Dinge von mir – die ich vielleicht gar nicht erfüllen kann? Stecke ich in der Falle, alles perfekt machen zu wollen? Verstecken sich in den Erwartungen gesellschaftliche (Normal-)Vorstellungen? Zu verstehen, woher Erwartungen kommen, macht es uns leichter zu evaluieren, wo sie hingehören: Welche Erwartungen wollen wir erfüllen? Welche wollen wir loslassen? Was bedeutet es für mich/uns ein*e gute*r Freund*in, Arbeitskolleg*in oder Beziehungsperson zu sein?
Fünftens: er-warten und ent-täuschen.
Warten kann bedeuten, sich in Geduld zu üben (siehe Punkt 3) – warten kann jedoch auch heißen, dass wir passiv „stecken bleiben“. Ab und zu er-warten wir etwas, das sich ohne unsere Aktivität gar nicht erfüllen kann. Zum Beispiel, wenn wir uns von einem*r Freund*in im Stich gelassen fühlen, ohne zu sagen, wie wir uns fühlen und dass wir uns eigentlich mehr Kontakt wünschen. Frage: Worauf warte ich genau? Manchmal ist es auch gar nicht so schlecht (und schmerzhaft), wenn Erwartungen enttäuscht werden – weil wir wissen, dass es sich nicht lohnt, weiter zu warten. Wenn sich die Täuschung aufhebt, entsteht etwas Wertvolles: Klarheit.