Selten hat ein Publikation der katholischen Kirche in den letzten Jahren für soviel Aufsehen gesorgt als die jüngste Erklärung des Dikasterium für die Glaubenslehre „Fiducia supplicans“ („Das fehlende Vertrauen)“, welche es Priestern erlaubt homosexuelle Paare zu segnen. Dieses Aufsehen schuf jedoch nicht nur Raum für Lob und Kritik, sondern auch für Fehlinterpretationen und Fehlinformationen. Doch was bedeutet diese Erklärung des Vatikans nun wirklich?

Gleichgeschlechtliche Paare sowie „Paare in irregulären Situationen“, also unverheiratete oder geschiedene und wiederverheiratete Paare (deren Ehe nicht kirchlich annulliert wurde), dürfen von Priestern den Segen erhalten.

Endlich – könnte man denken, nachdem die Glaubenskongregation in einem Responsum ad dubium im Jahre 2021 festgestellt hat, dass die Kirche keine (von Gott gegebene) Vollmacht besitze, um gleichgeschlechtliche Paare zu segnen.

Hatte das besagte Responsum ad dubium konservative Kreise binnen der römisch-katholischen Kirche bestärkt, so löste es jedoch gleichzeitig eine Welle der Kritik aus, welche man durchaus als kleine Revolution interpretieren könnte. So segneten in der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Priester bei einer landesweiten Aktion unter dem Motto „Liebe gewinnt“ homosexuelle Paare – gegen den Willen des heiligen Stuhls – und setzten so ihre Karriere aufs Spiel.

Doch die Kritik kam nicht nur vom niederen Klerus, so haben direkt nach dem Responsum ad dubium von 2021 verschiedene Bischöfe angekündigt Priester, welche gleichgeschlechtliche Paare segnen, nicht zu sanktionieren, darunter der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Kardinal Hollerich und auch der Münsteraner Bischof Felix Glenn. Die Segnung homosexueller Paare durch Priester war de facto also schon in verschiedenen Bistümern erlaubt.

Und die neue Erklärung des Diskasteriums?

Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Mit Bedingungen und Umschreibungen wie beispielsweise, dass der Segen nicht gefördert werden darf, er keinem festen liturgischen Ritus entsprechen, oder gar einem Sakrament ähneln darf, sichert sich die vatikanische Behörde ab, dass ein solcher Segen auf keinen Fall mit der Ehe verwechselt werden kann. Die kirchliche Sicht auf die Ehe wird nämlich durch dieses Schreiben keinesfalls abgeändert – hier besteht weiter eine traditionelle, heteronormative Sichtweise. Mann-Frau-Kinder-Fertig! Der Segen gilt beiden Partner:innen und nicht der Verbindung, welche zwischen dem Paar besteht.

Es liegt mir jedoch fern, diese Neuerung klein zu reden – mitnichten, halte ich diese Publikation doch für einen zwar kleinen, aber durchaus sehr wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

Der Papst, als Oberhaupt der katholischen Kirche, steht in der Verantwortung, die Balance zwischen progressiven und konservativen Strömungen innerhalb der Kirche zu wahren. Dieses Spannungsfeld ist entscheidend für die Einheit der Kirche. Die Herausforderung besteht darin, einen Weg zu finden, auf dem die Kirche die Bedürfnisse und Überzeugungen ihrer weltweiten Gläubigen berücksichtigt, die Doktrin in angemessener Geschwindigkeit modernisiert und gleichzeitig ihren theologischen Grundsätzen treu bleibt.

Wir können die Komplexität dieser Aufgabe derzeit anhand der vielfältigen Reaktionen aus verschiedenen Teilen der Welt, einschließlich Nairobi, Nigeria und Malawi, beobachten. Die Vielfalt der Ansichten innerhalb der Kirche spiegelt die Spannungen wider, mit denen der Vatikan konfrontiert ist.

Auch wenn die vatikanische Entscheidung zumindest in Mitteleuropa nun die große Unsicherheit entkräftet welche bei Geistlichen bezüglich der Segensspendung bis jetzt bestanden hat, so ist mit Sicherheit kein größerer Ansturm auf unsere Gotteshäuser zu befürchten. Der Titel des Dokuments „Fiducia supplicans“ trifft es nämlich sehr genau. Es fehlt bei vielen queeren Gläubigen schlichtweg an Vertrauen. Wer kann es ihnen nach jahrelangem Sodom und Gomorrha, alttestamentarischen Gräuel und Römer 1 auch verübeln?

Bereits 1975 hat sich die Kongregation für die Glaubenslehre in der Erklärung „Persona humana“ mit dem Thema Homosexualität befasst. Dieses Dokument beschreibt Sexualität als zentrales Element der Persönlichkeit, das dem menschlichen Leben seine grundsätzlichen, differenzierenden Charaktereigenschaften verleiht.  Der sexuelle Akt jedoch wäre nur sittlich und würdig, wenn er, kurz gefasst, im ehelichen Leben der Fortpflanzung diene. Bei Homosexualität wäre zu unterscheiden zwischen „Homosexuellen, deren Neigung sich von einer falschen Erziehung, von mangelnder sexueller Reife, von angenommener Gewohnheit, von schlechten Beispielen oder anderen ähnlichen Ursachen herleitet und eine Übergangserscheinung darstellt oder wenigstens nicht unheilbar ist“ und „Homosexuellen, die durch eine Art angeborenen Trieb oder durch eine pathologische Veranlagung, die als unheilbar betrachtet wird, für immer solche sind.“

Auch wenn die Glaubenskongregation die zweite Kategorie betreffend einräumt, dass einige zum Schluss kommen, dass die Neigung natürlich sei, so überwiegt jedoch das Argument, dass diese Handlungen nach objektiven und moralischen Standards als grundlegend fehlgeleitet angesehen werden müsse.

Was die erste Kategorie betrifft, so ist etwas, was nicht unheilbar ist, wohl heilbar, Konversionstherapien waren auch in Luxemburg die grausame Folge. Konversionstherapien, welche übrigens auch heute noch in Luxemburg legal sind.

In einem Land, in welchem Glaube und Kirche bis vor wenigen Jahrzehnten noch Wertmaßstab waren, sind soziale Ausgrenzung und Isolation, Probleme mit der eigenen Identität und Selbstakzeptanz sowie ein oft stark beeinträchtigtes Familienverhältnis keine Seltenheit.

Don’t ask, don’t tell eine gängige Praxis in so manchemLuxemburger Dorf – “Jeder wusste es, aber keiner hat darüber gesprochen” und wenn einer es wusste, dann der Dorfpfarrer, Beichte muss schließlich sein.

Auch wenn die Zeiten sich geändert haben, sitzt so manchem, vor allem aus der älteren Generation, diese Philosophie tief in den Knochen.

Die Kirche reicht eine Hand, nicht nur durch das «Fiducia supplicans» sondern auch durch einen offenen Dialog mit der queeren Community. So hat Rosa Lëtzebuerg Austausch mit dem Luxemburger Erzbistum welcher seinen Höhepunkt in einem Treffen mit dem Erzbischof Jean-Claude Kardinal Hollerich und dem Generalvikar Patrick Müller fand. Seit 2022 ist auch eine interreligiöse Feier fester Bestandteil der Pride Week, an der neben der katholischen Kirche auch die liberale jüdische Gemeinschaft teilnimmt.  2022 fand diese Zeremonie sogar mit ausdrücklicher Erlaubnis des Erzbistums in der Sacré Coeur Kirche in Esch-Alzette statt.

Einer Anfrage von Rosa Lëtzebuerg zur Erstellung einer diözesanen Arbeitsgruppe “LGBTIQ+ und Glaube” ging das Erzbistum bisher leider nicht nach.

Die Frage stellt sich allerdings, ob das Reichen einer Hand ausreichend ist oder ob nicht ein eindeutiger Schritt auf die queere Community erforderlich ist. Dass das Thema queere Gläubige beschäftigt zeigt, dass sich neben der Arbeitsgruppe von Rosa Lëtzebuerg auch die Beratungsstelle CIGALE kürzlich eine Gruppe rund ums Thema Glaube gegründet hat.

Doch auf welchem theologischen Fundament beruht die jahrhundertlange Diskriminierung seitens der katholischen Kirche eigentlich? Was steht wirklich in der Bibel zum Thema Homosexualität?

Setzt man die oben genannte Bibelstellen in einen zeithistorischen Kontext so muss einem zwangsläufig klar werden, dass die Bibel über Homosexualität wie sie Heute verstanden wird absolut keine Aussagen trifft. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften auf Augenhöhe gab es zu dieser Zeit schlichtweg einfach nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Berücksichtigt man, dass selbst das „moderne und progressive“ Luxemburg mehr als 2000 Jahre später erst diese Partnerschaften vollwertig anerkannt hat, so war in der Antike sicherlich das Verständnis einer jeder Partnerschaft auf ein heteronormatives Fundament gebaut.

Auch der sexuelle Akt, welcher in diesen Texten beschrieben wird, muss im  jeweiligen kulturellen und soziohistorischen Kontext betrachtet werden. Sex zwischen Männern ist in der Antike durch ein Machtverhältnis definiert – wobei Sex zwischen Männern kaum der richtige Ausdruck ist, geht es hier um den sexuellen Akt von erwachsenen Männern mit Knaben, zwischen Überlegenen und Unterlegen.

Die direkte Übertragung zeitgenössischer Texte auf heutige Verhältnisse ist also höchst problematisch. Die Erkenntnis, dass oft zitierte Bibelpassagen nicht von gleichgeschlechtlicher Liebe sprechen, fordert dazu auf, die heute geltende Interpretation zu überdenken und vielmehr die biblische Botschaft von Liebe, Akzeptanz und Inklusion in den Vordergrund zu stellen.

Auch das Thema Priesterweihe von Homosexuellen wird binnen der Kirche immer wieder kontrovers diskutiert. In den im Dezember 2016 veröffentlichten aktuellen Richtlinien des Vatikans heißt es, vom Priesteramt ausgeschlossen seien „praktizierende Homosexuelle“ sowie Männer, die „tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte homosexuelle Kultur unterstützen“. Die sexuelle Ausrichtung bestimmt aber sicher nicht das Einfühlungsvermögen oder das Potential, ein guter Seelsorger zu sein. Ein Jeder, der sich für das geweihte Leben entscheidet, macht das (im Moment zumindest noch) in voller Kenntnis, dass mit einem solchen Leben die volle körperliche Enthaltsamkeit einhergeht. Es gilt das Zölibat von der sexuellen Orientierung unabhängig. Egal welche sexuelle Orientierung, bin ich jedoch der Meinung, dass das Bewusstsein der eigenen Sexualität wichtig ist für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, welche für eine seelsorgliche Begleitung von Menschen unabdingbar ist.

Abschließend lässt sich sagen, dass Glaube eine zutiefst persönliche Angelegenheit darstellt. Jede:r Einzelne steht vor der Aufgabe, für sich selbst zu entscheiden, inwieweit der eigene Glaube mit dem Queer-Sein vereinbar ist und umgekehrt. Im Zuge meiner Recherchen für diesen Artikel hatte ich das Privileg, sowohl mit Priestern als auch mit Gläubigen ins Gespräch zu kommen. Während es vereinzelt zu negativen Rückmeldungen kam, überwogen jedoch die positiven Berichte. Viele Gläubige erzählten davon, wie sie ihren Platz innerhalb der Kirche gefunden haben – von der einfachen Zugehörigkeit binnen der Glaubensgemeinschaft bis hin zur aktiven Mitwirkung im Pastoralrat. Diese Erzählungen sind ein lebendiges Zeugnis für die Möglichkeit einer harmonischen Koexistenz von Glaube und Queer-Sein. Sie unterstreichen die Fähigkeit der Kirche, ein Zuhause für alle zu sein, unabhängig von deren sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die Kirche die notwendige Stärke findet, veraltete Dogmen zu überdenken und queeren Gläubigen aktiv entgegenzukommen. Eine solche Öffnung würde nicht nur zu einer vielfältigeren und offeneren Kirche führen, sondern auch den queeren Gläubigen den nötigen Mut geben, die ausgestreckte Hand anzunehmen. Es geht darum, Vergangenes zu vergeben und gemeinsam einen Platz in einer Kirche zu finden, die sich im Wandel befindet. Dieser Prozess ist von entscheidender Bedeutung für die Schaffung einer inklusiven Gemeinschaft, in der jeder Mensch seinen Glauben frei und ohne Furcht leben kann.

Foto: Kusaï Kedri