Im Juli forderte eine Petition das Verbot von LGBT-Themen an Luxemburgs Schulen, doch gegen welche Schulmaterialien und Lehrpläne kämpfen die Unterzeichnenden an? Analyse und Austausch mit den zuständigen Ministerien sowie ihren Bildungsexpert*innen.

Statt Eis und Sonnenschein gab es diesen Sommer eine Kontroverse: Im Juli erreichte eine Petition, welche die Behandlung von LGBTIQA+ Themen zur Privatsache erklärt und an Luxemburgs Schulen verbieten will, innerhalb weniger Tage die 4.500 Unterschriften, die zur Debatte in der Abgeordnetenkammer nötig sind. Es folgten ein Freudentanz queerfeindlicher Parteien und von Privatpersonen über die Mobilisierung gleichgesinnter Bürger*innen, doch rückten auch die LGBTIQA+ Communities sowie ihre Alliierten zusammen: Eine Gegenpetition zur Förderung entsprechender Themen erfuhr in nur einem Tag die notwendige Unterstützung zum Einzug in die Abgeordnetenkammer; mehrere Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens solidarisierten sich mit LGBTIQA+ Menschen. Dabei wird mit Blick auf das Schulprogramm in Luxemburg klar: Der Sorge der Unterstützer*innen der Anti-LGBT Petition, nach der Heranwachsende in der Schule auf mehreren Ebenen unter LGBT-Bildung leiden würden, fehlt eine faktenbasierte Grundlage. Noch dazu spiegelt sie nur bedingt die Haltung der Erziehungsberechtigten wider.

Mangelware LGBTIQA+

2021 und 2023 publizierte die Universität Luxemburg zwei Studien zur Diversität in Luxemburgs Schulmaterialien. Die erste bezog sich auf die Grundschule – untersucht wurden 57 Bücher in den Fächern Deutsch, Französisch, Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte sowie Leben und Gesellschaft. In Bezug auf die Sichtbarkeit von LGBTIQA+ Themen ergab die Analyse der Wissenschaftlerinnen: Nur in dem naturwissenschaftlichen Buch „Mensch und Natur“ (Cycle 4, 10 – 11 Jahre) wird explizit auf ein gleichgeschlechtliches Elternpaar und auf Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale verwiesen. Letzteres mit einem fragwürdigen Satz: „Es gibt (…) Menschen, die sich nicht in [ein] binäres Geschlechtersystem einordnen, sie sind intersexuell. Da alle Menschen verschieden sind, sollte jeder das tun können, was er am liebsten möchte.“ An der Stelle sei angemerkt: Geschlechtsidentität ist keine Vorliebe, die jeder Mensch sich nach Belieben aussucht, wie es diese Aussage suggeriert.

Die Analyse von 52 Büchern des „cycle inférieur de l’enseignement secondaire classique et général“ (drei ersten Sekundarstufen, d.R.) fiel ähnlich aus: Die Wissenschaftlerinnen prüften die Fächer Deutsch, Französisch, Englisch, Mathe, Naturwissenschaften, Geschichte und Geografie. Hinzu kamen acht Unterlagen des Fachs „Vie et société“. Erneutes Fazit: LGBTIQA+ Figuren tauchen vorwiegend in naturwissenschaftlichen Fächern auf und werden auf körperliche Aspekte reduziert. 40 von über 3.000 Charakteren und 17 von 82 gezeigten Paaren waren homosexuell. In anderen Fächern sind queere Menschen noch unsichtbarer: In den Geschichtsbüchern traten 9 homosexuelle Charaktere auf; in den Materialien für den Sprachunterricht waren es zusammengenommen 18. 

Das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend (MENJE) sowie das Ministerium für Gleichstellung und Diversität (MEGA) bestätigen die Studienergebnisse indirekt, wie sie im Austausch mit queer.lu schreiben: „Das Thema LGBTIQA+ wird nicht explizit in den Schulprogrammen erwähnt. Toleranz und Respekt werden dennoch in der Schullaufbahn thematisiert, vor allem in dem Fach Vie et société, wo es u.a. um Sexualität, sexuelle Ethik und Identität sowie um die Diversität der Geschlechter geht.“ 

Dort kommen Homo- und Bisexualität beispielsweise auf 6ième (13-14 Jahre) vor, wenn es um Liebe geht. Dies geschieht in der Unterrichtseinheit „Liebe ist…?“ in dem Kapitel „Anders lieben“: Die Jugendlichen werden darin u.a. dazu aufgefordert herauszuarbeiten, warum die Pubertät für Homosexuelle anders ist oder warum ein Coming Out Mut erfordert. Queerfreundlicher wäre es wohl, Liebe nicht in einzelne Kapitel zu unterteilen, sondern die verschiedenen romantischen und sexuellen Orientierungen gemeinsam vorzustellen sowie auf die Diskriminierung hinzuweisen, die manche Menschen aufgrund ihrer Gefühle und Identität erfahren.

In erster Linie würden in den Programmen Lernziele definiert, die es mithilfe didaktischer Materialien zu erreichen gelte, schreiben die Ministerien weiter. Sie erwähnen in dem Kontext vor allem die sexuelle und affektive Bildung: Hier gehe es um biologische Fakten zu Sexualität, aber auch um den Menschen als sexuelles, fühlendes Wesen. Das Thema käme bereits im Cycle 1 (3-5 Jahre) vor, jedoch ohne Bezug zu Sexualität. „Dort sprechen wir beispielsweise nicht explizit über lesbische Liebe, doch ist sie implizit mitgemeint, wenn wir Liebe thematisieren“, so Luc Weis, Direktor des Scripts, im Austausch mit queer.lu. LGBTIQA+ Menschen würden an Grundschulen und Gymnasien einen wichtigen, aber nur kleinen Teil der sexuellen und affektiven Bildung ausmachen. 

Steigender Informationsbedarf

Sowohl Weis als auch Daniela Dario – im Bildungsministerium u.a. zuständig für die Dossiers LGBTIQA+, sexuelle und affektive Bildung – versichern mehrfach: Das Personal verfüge über zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten und Zusatzmaterialien zu LGBTIQA+ Fragen. Ab diesem Schuljahr stünde ihnen u.a. eine Lehrermappe vom Script zu „Sexuelle Bildung in der Grundschule“ zur Verfügung, die ein Infoblatt zu Geschlechtsidentitäten enthält. Dieses wurde in Zusammenarbeit mit dem Cigale ausgearbeitet. Demnächst sollen Ratgeber für das Schulpersonal im Umgang mit trans Schüler*innen folgen. Im Schuljahr 2023/2024 entschieden sich zudem 694 Lehrkräfte freiwillig für eine von über 30 Weiterbildungen der Ifen zu LGBTIQA+ Themen. 

Nach Luc Weis steigt der Bedarf, Heranwachsende altersgerecht über LGBTIQA+ Fragen zu informieren, aktuell stark an. Weis und Dario geben zu bedenken: Wenn Heranwachsende in den Bildungs- und Betreuungsstrukturen keine Antworten erhalten, greifen sie zunehmend auf Soziale Netzwerke zurück. Dort würden sie oft auf Falschinformationen stoßen. Es sei verlässlicher, wenn etablierte Bildungsakteur*innen mit dem nötigen Know-How sie aufklären würden, so Weis. „Es ist unsere Aufgabe, junge Menschen adäquat zu informieren“, ergänzt Dario. „Auch – oder gerade – , wenn es um tabuisierte Themen wie Sucht oder Sexualität geht.“ 

Die Unterstützer*innen der Anti-LGBT Petition teilen diese Ansicht vermutlich nicht. Das führt Dario auf Verunsicherung zurück: „Sie fürchten, dass im Vorschulalter über sexuelle Praktiken aufgeklärt wird. Kleinkinder sprechen von sich aus jedoch in der Regel nicht über Sex, sondern über Gefühle.“ In diesem Sinne sollten sie sich und ihre Körper kennenlernen, denn dies beuge auch sexuellen Übergriffen vor. „Weil Kinder dadurch lernen, welche Berührungen in Ordnung sind und welche nicht oder wie sie allgemein Grenzen setzen“, sagt sie. Der Ausschluss von LGBTIQA+ Themen aus dem Unterricht schließe hingegen eine Personengruppe aus. „Das ist menschenverachtend und kontraproduktiv, wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, die Diversität großschreibt“, meint Dario. 

Umgang mit Erziehungsbeauftragten

Die meisten Erziehungsberechtigten und Bürger*innen würden dem wahrscheinlich nicht widersprechen, wie Weis zu verstehen gibt: „Der Austausch mit der nationalen Elternvertretung ist gut: Es herrscht keine Ablehnung bestimmter Personengruppen, sondern großes Verständnis füreinander.“ Vor der Anti-LGBT Petition sei ihm nicht bewusst gewesen, dass „eventuell auch vonseiten der Eltern in dieser Hinsicht ein fundamentales Problem besteht.“ 

Das MENJE und das MEGA finden derweil klare Worte auf die Frage, inwiefern Eltern ein Mitspracherecht in Sachen Schulprogramm haben sollten. „Eltern bestimmen durch ihr allgemeines Wahlrecht, wer über Gesetze entscheidet. Die Obligation scolaire schreibt den gesellschaftlichen Auftrag der Schule vor. Über diesen kann und soll nicht mit einzelnen Eltern verhandelt werden“, heißt es. „Die nationale Elternvertretung gibt regelmäßig Gutachten ab, auch zu den Programminhalten. Die zuständigen Gremien nehmen diese ernst.“ Das MENJE bemühe sich weiter, die Lerninhalte transparent zu erklären und ihren Mehrwert hervorzuheben.

Das MEGA unterstreicht derweil: Im Idealfall sollten auch Erziehungsbeauftragte ihre Kinder sachlich über jede Lebensrealität aufklären. Es sei jedoch nicht zielführend jene an der Schule auszublenden, zumal dies Kindern, die beispielsweise homosexuelle Eltern haben, ein falsches Signal sende. Das MEGA schlussfolgert: „Beide Petitionen decken jedenfalls die Notwendigkeit auf, sachlich in unserem Bildungswesen über LGBTIQA+ Themen zu sprechen und dabei zivilgesellschaftliche Organisationen einzubeziehen.“

Anhang

  1. Wie entsteht das Schulprogramm in Luxemburg?

Das Gesetz der „Obligation scolaire“ definiert die Leitlinien des luxemburgischen Bildungssystems. Menschenrechte, Diversität und altersgerechte sexuelle, affektive Bildung sind Bestandteil davon. Die einzelnen Zielsetzungen werden im Lehrprogramm konkretisiert. 

Im „Enseignement fondamental“ ist jenes im „Plan d’études“ verankert, das vom Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend (MENJE) erarbeitet wird. Der „Service de coordination de la recherche et de l‘innovation pédagogiques et technologiques“ (Script) des Ministeriums reformiert das Dokument derzeit. 

Die Programme im „Enseignement secondaire“ werden von rund 60 verschiedenen Programmkommissionen zusammengestellt, bevor sie dem Ministerium zur Validierung vorgelegt werden. 

„Die Lerninhalte beruhen auf faktenbasierten, internationalen Empfehlungen und haben nicht als Ziel Kinder und Jugendliche auf der Suche nach ihrer (sexuellen) Identität zu leiten, sondern ihnen die menschliche Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft sachlich zu erklären“, betont Daniela Dario vom MENJE. „Diese werden mit Rücksicht auf die jeweiligen Altersgruppen sowie die Lernziele aus der Obligation scolaire erarbeitet. Dasselbe gilt für die non-formale Bildung, in der dieselben Kompetenzen gefördert werden.“

  1. Wie präsent sind LGBTIQA+ Organisationen im Bildungswesen?

Im Gegensatzl zum Ministerium für Gleichstellung und Diversität (MEGA), unterhält das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend keine Konvention mit LGBTIQA+ Organisationen. Punktuell arbeiten Bildungsdienste wie der „Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“ (Cepas) oder das „Institut de Formation de l’éducation nationale“ (Ifen) jedoch mit ihnen zusammen. 

LGBTIQA+ Verbände, wie Rosa Lëtzebuerg, Cigale oder ITGL – Intersex & Transgender Luxembourg, sind in der Regel nur auf explizite Anfrage in Schulen und Bildungseinrichtungen präsent. Sie stehen sowohl den Lehrkräften als auch den Schüler*innen beratend zur Seite und organisieren Sensibilitäts- und Informationsaktivitäten. 

So hielt das Cigale dieses Jahr beispielsweise über 45 Workshops für 12 bis 15-Jährige zu Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und Variationen der Geschlechtsmerkmale an Sekundarschulen ab. Der Fokus der Workshops lag primär auf Mobbing und Diversität, weniger auf Sexualität. Das übernimmt u.a. das „Planning familial“, um Zusatzinformationen zu Sexualität und affektiver Bildung zu vermitteln. 

2025 bietet das Cigale in Zusammenarbeit mit der Ifen Fortbildungsmöglichkeiten zu LGBTIQA+ Themen für das Bildungspersonal an, wie es ITGL bereits seit Jahren zu geschlechtlicher und sexueller Diversität tut. 

  1. Entscheiden Schulen freiwillig, wen sie einladen?

In „Enseignement fondamental“ erfolgt die Einladung externer Akteur*innen in Rücksprache mit der Gemeinde und ggf. der Regionaldirektion. Die Bürgermeister*innen müssen die Interventionen autorisieren und die Gemeinde trägt anfallende Kosten. Das Schulpersonal ist während des Besuchs anwesend und sorgt für die Vor- und Nachbereitung der Aktivität. Im „Enseignement secondaire“ verläuft dieser Prozess ähnlich, nur dass es dort die Schulleitung ist, welche die Aktivitäten externer Anbieter*innen genehmigen muss.

  1. Sind LGBTIQA+ Themen Pflicht an den Schulen?

Die „Obligation scolaire“ hält fest: Bildung beruht auf Gleichstellung. Schulpflichtige Kinder und Jugendliche sollen über die Diversität der Gesellschaft aufgeklärt werden und u.a. Respekt für ihre Mitmenschen erlernen. Die Behandlung von LGBTIQA+ Themen wird in dem Gesetz nicht explizit erwähnt. Daniela Dario unterstreicht: „Wir empfehlen dem Fachpersonal an Schulen und in non-formalen Bildungseinrichtungen immer auf die Fragen der Schüler*innen einzugehen und sich u.a. zu LGBTIQA+ Themen weiterzubilden. Wenn sie die Fragen der Heranwachsenden nicht beantworten können, legen wir ihnen nahe, sich an entsprechende Organisationen zu wenden und ihre Vertreter*innen zu sich einzuladen, um den jungen Menschen altersgerechte Antworten zu vermitteln.“ Verpflichtend ist dies aber nicht und es obliegt am Ende den Lehrkräften, ob LGBTIQA+ Sujets diskutiert werden.

Illustration: Charlotte Muniken