Mai, 2016: In der US-Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders wird von „shade werfen“ gesprochen. Als Antwort von den Demokraten wird #SMH geantwortet, Jugendslang und die Abkürzung von “shaking my head”. Queerer Slang wird in Kampagnen benutzt und Begriffe, die einst ausschließlich in queeren Communities kursierten, sind mittlerweile Teil des Mainstream geworden. Pop Ästhetik mit Drag-Wurzeln? Dass ausgerechnet in einem innerparteilichen Machtkampf solche Begriffe fallen, zeigt, dass queerer Slang sich aus der Subkultur in den Mainstream katapultiert hat. Nicht, weil queere Kämpfe gewonnen wären, sondern weil das Patriarchat und der Kapitalismus längst gelernt haben, sich bunt anzuziehen. Dabei ist die Aneignung queerer Sprache im Mainstream nicht nur ein Beispiel für Rainbow Capitalism, sondern verweist auf größere Dynamiken kultureller Aneignung von marginalisierten Ausdrucksformen.

Sprache als Überlebensstrategie

“Ballroom ist ein subkulturelles Phänomen, das in der Notwendigkeit von Gemeinschaft und Sicherheit verwurzelt ist – und im Widerstand gegen Unterdrückung.” – aus einem Artikel im Magazin vanvoguejam (Les Fabian Brathwaite: Striking a ‘Pose’: A Brief History of Ball Culture)

Queere Sprache war nie „nur cool“. Sie war eine Überlebensstrategie. In den Ballroom-Communities der 1980er in den USA, geprägt vor allem von Schwarzen und Latinx* Transpersonen und Dragqueens, entwickelten sich Begriffe wie „shade“, „read“, „realness“ oder „slay“ als Teil eines eigenen sprachlichen Kosmos. Sprache wurde zu einem der Werkzeuge, mit dem sie sich gegenseitig stärkten, ihre Identität feierten und soziale Codes neu definierten. Es wurden Ausdrucksformen entwickelt, um eine sichere und diskrete Kommunikation zu haben; dies als Antwort auf eine Welt, die “queer” als Beleidigung benutzte, alles, was nicht heteronormativen Vorstellungen entsprach, ausgrenzte, pathologisierte oder unsichtbar machte. Und auch heute noch würden viele queere Menschen solche Schutzräume brauchen. Gerade trans und queere Jugendliche sind überdurchschnittlich oft von Obdachlosigkeit betroffen, erleben Diskriminierung in Schule, Job oder Gesundheitsversorgung. Houses bieten nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch praktische Solidarität. Sie sind Wahlfamilien in einer Welt, die viele noch immer ausschließt.

Ballroom war immer mehr als nur Performance, wenn auf einem Ballroom-Runway jemand „slayt“, heißt das nicht einfach: Du siehst gut aus. Es heißt: Du trotzt der Gewalt, der Armut, der Ausgrenzung und du tust es mit Glanz, Haltung und Stil.

Polari & Goluboy: globale Geschichte queeren Slangs

„Nada to vada in the larda, what a sharda“, sagt Paul Baker, der weltweit führende Polari-Experte, als man ihn nach seinem Lieblingsausdruck fragt.

Übersetzung: Wie schade, er hat einen kleinen Penis.

„Ich mag den Reim“, sagt er.

Die Idee, queere Sprache als Code zu nutzen, ist keine US-amerikanische Erfindung. In Großbritannien entwickelte sich bereits im 17. Jahrhundert Polari, ein geheimsprachliches Idiom, das aus Molly Slang – den Dialekten von Kriminellen und anderen als „unerwünscht“ geltenden Gruppen –, dem Cockney-Slang aus East-London sowie italienischen Wörtern, die Seeleute aus dem Mittelmeerraum mitbrachten, besteht. Polari war ein Code, der queere Menschen sowohl vor homofeindlichen Gesetzen schützte als auch als eine Art „Gaydar“ funktionierte.

„Es geht dabei nicht immer nur um Geheimhaltung und Schutz“, erklärt Paul Baker im Interview mit dem Out Magazine. „Ich denke, es geht auch darum, als marginalisierte Gruppe eine eigene Identität zu formen – sich als anders zu markieren. Es geht vielleicht auch ein bisschen darum, sich als überlegen zu empfinden – eine Denkweise, die die Mehrheitsgesellschaft als irgendwie minderwertig gegenüber der Sichtweise der Polari-Sprecher*innen bewertet.“

Während dieses queere Vokabular in den meisten westlichen Ländern heute kaum noch Verwendung findet, gibt es weltweit weiterhin Orte, an denen LGBTQ+ Personen auf geheime Sprachcodes angewiesen sind. Im heutigen Russland unter Putin etwa spricht man „Goluboy“ – einen Slang, mit dem sich queere Menschen erkennen können, ohne von anderen enttarnt zu werden. Auch in der Türkei gibt es eine ähnliche Sprache. Lubunca ist eine Geheimsprache, die von trans Frauen und schwulen Männern im Osmanischen Reich entwickelt wurde, um einen gemeinsamen Raum zu finden. Heute, fast 400 Jahre später, ist Lubunca ein untrennbarer Teil des LGBT+-Kampfes in der Türkei. Ozan Can Çetinkaya hat einen Artikel über Lubunca in der letzten Ausgabe von queer.lu veröffentlicht.

Stills from Paris is Burning, 1990, Jennie Livingston:

Sichtbarkeit vs. Ausverkauf

Dass queere Sprache im Mainstream angekommen ist, kann auch als Zeichen von Anerkennung gelesen werden. Sichtbarkeit ist wichtig, besonders für marginalisierte Menschen. Wenn queere Begriffe Einzug in die Alltagssprache finden, könnte das bedeuten, dass queere Lebensrealitäten endlich nicht mehr unsichtbar sind.

Der Film Paris Is Burning dreht sich um das Vokabular der Drag-Ball-Szene der 1980er-Jahre in New York.  Ob „realness“, „house“, „icon“, „shade“ oder „serving cunt“, queerer Slang bietet Begriffe, mit denen alles und jede*r benannt und gefeiertwerden kann.

Ein Artikel im Rolling Stone über die Ballroom-Kultur in New York City erklärt ihren plötzlichen Sprung in den Mainstream. Neben Madonnas Vogue und der Serie Pose habe es RuPaul’s Drag Race geschafft, die Generationskluft zu überbrücken und die Ballroom-Szene nach Hause auf die Flatscreens zu bringen.

Es ist unmöglich, über die Ball- und House-Community zu sprechen, ohne auch sexuelle Ausbeutung, Übergriffe und die AIDS-Epidemie zu erwähnen. Eines der konstantesten Merkmale der Ballroom-Kultur ist ihre Widerstandskraft. Twiggy Pucci Garçon, Aktivist und Filmproduzent, erklärt es so: Die Szene „hat es geschafft, durch die Drogenkrise, die HIV- und AIDS-Krise und mehrere politische Krisen zu überleben. Sie besteht weiterhin als ein sicherer, empowernder Raum für Menschen, die sonst keinen Ort haben, an dem sie existieren dürfen.“

Doch diese Sichtbarkeit kommt nicht ohne Risiko. Wenn Sprache aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wird, geht oft auch ihre politische Sprengkraft verloren. Während große Marken damit werben, „slay“ zu sein, verdienen sie Geld, nicht aber die Communities, die diesen Ausdruck geprägt haben.

Mit dem Aufstieg von Drag in den Mainstream, vor allem durch Formate wie RuPaul’s Drag Race, fanden viele dieser Begriffe ihren Weg in die Mehrheitsgesellschaft. Popstars wie Lady Gaga oder Lizzo greifen sie auf, Influencer*innen auf TikTok und Instagram nutzen sie in ihren Captions. Was früher codierte Communitysprache war, ist heute Kommentarspalte.

Doch mit dieser Popularisierung droht eine Entpolitisierung: Was einst subversiv war, wird zur Ästhetik. Was einst Schutz war, wird zur Werbekampagne. Dies zeigt, wie kulturelle Aneignung funktioniert: Etwa das Verwenden eines falschen oder abwertenden Ton von bestimmten Dingen oder Sprachen, die sich auf eine Kultur beziehen, der sie selbst nicht angehören – ohne Mitglieder dieser Kultur einzubeziehen.

Besonders problematisch wird es, wenn gleichzeitig queere Menschen, insbesondere trans Personen of Color, weiter unter Diskriminierung und Verfolgung leiden. Anti-Trans-Gesetze, Polizeigewalt oder Hass-Kampagnen sind nur einige Beispiele dieser Realität.

Lokale Perspektiven: Queere Kultur in Luxemburg schützen

Wenn queere Begriffe – sowie ihr Make-up, ihre Kleidung, ihre Tanzstile – im Mainstream auftauchen, muss auch die Community sichtbar und unterstützt werden, nicht nur ihr Stil. Wir brauchen rechtlichen und kulturellen Schutz für queere Kultur, die sie als schützenswertes Kulturgut anerkennen. 

Auch in Luxemburg wird queer getanzt, zelebriert und queerer Slang gesprochen. Und auch hier muss es darum gehen, die Kultur dahinter zu schützen. Der Schutz queerer Kultur beginnt bei der rechtlichen Absicherung queerer Menschen, geht weiter mit der Unterstützung von Community-Initiativen, queeren Veranstaltungsorten und kulturellen Projekten durch Kulturfördergesetzen und endet nicht bei der Frage, wie viele Pride-Flaggen in der Werbung auftauchen.

Sprache ist Erinnerung. Und Erinnerung braucht Räume, Schutz und Respekt. Kunst und Geschichte müssen sichtbar und zugänglich gemacht werden.

Es ist nicht per se problematisch, queere Begriffe zu benutzen. Sprache verändert sich, und popkulturelle Aneignung kann auch ein Zeichen von Wertschätzung sein. Doch sie darf nicht ohne Kontext geschehen.

Denn queerer Slang ist mehr als ein Trend. Er ist Zeugnis einer Geschichte, die es verdient, nicht nur zitiert, sondern verstanden und geschützt zu werden.

Queer Slang Crossword: