Das Jahr 2023 markierte einen bedeutenden politischen Übergang in Luxemburg. Die Bürger:innen haben innerhalb kurzer Zeit an kommunalen und nationalen Wahlen teilgenommen. Dieser Artikel befasst sich mit Erfahrungen junger Menschen, die der LGBTIQA+-Gemeinschaft angehören, wobei der Fokus insbesondere auf den nationalen Wahlen und jenen, die nicht wählen konnten, liegt.

Sean Curran, ein 25-jähriger Cis-Mann, der im Süden Luxemburgs lebt, erinnert sich lebhaft an seine ersten Wahlen. „Ich bin politisch interessiert und habe einen weltweiten massiven Aufschwung für konservative, rechtsgerichtete oder sogar extrem rechte Parteien bemerkt. Ich war besorgt, dass dies auch in Luxemburg passieren könnte“, erinnert er sich. „Außerdem habe ich viele Diskussionen mit Freund:innen und Familienmitgliedern über politische Themen geführt. Es fasziniert mich immer, wie schnell man herausfinden kann, was für eine Person jemand ist, je nachdem, welche politische Partei oder Parteien sie wählen. Werte sind intrinsisch mit der politischen Ideologie verbunden und bestimmen irgendwie den Alltag.“ Sean besitzt die luxemburgische und irische Staatsbürgerschaft und studiert derzeit an der Universität Trier Soziologie und englische Linguistik. In der LGBTIQA+-Gemeinschaft identifiziert er sich als bisexuell. „Ich habe meine sexuelle Orientierung mit 12 akzeptiert; dann habe ich mich mit 16 bei meiner Mutter, in der Schule und im Allgemeinen geoutet. Wenn es um meine Queerness und queere Identität geht, war das ein längerer Prozess, weil ich zunächst die reiche Geschichte unserer Gemeinschaft kennenlernen und verstehen wollte, was die Wiederaneignung einer früheren Beleidigung für eine marginalisierte Gemeinschaft bedeutet und wie dies mit meiner persönlichen Identität zusammenhängt“, sagt er. In den letzten fünf Jahren hat er sich stolz als bisexuell und queer identifiziert.

Als Erstwähler hat er die Wahlprogramme jeder Partei gelesen und sich im Laufe der Zeit entschieden, welche am meisten mit seinen Werten gemeinsam hatten. „Ich würde meine politische Ideologie als demokratischen Sozialismus beschreiben und habe das Gefühl, dass meine Queerness damit verbunden ist, weil die queere Gemeinschaft seit jeher dafür bekannt war, für ihre Rechte einzutreten und sozialen Wandel durch die Verbreitung von Wissen und Bewusstsein für die Existenz queerer Menschen zu wollen“, erklärt er. „Ich kann definitiv sagen, dass meine Queerness Einfluss auf mein Wahlverhalten hatte, weil ich meine eigenen Werte sowie die Werte der Gemeinschaft mit meiner Stimme vertreten wollte.“ Für Sean gab es keinen wirklichen Unterschied darin, wie er die kommunalen und nationalen Wahlen betrachtete. Er war auf beide vorbereitet, aber mehr besorgt über das Ergebnis der nationalen Wahlen.

Auf die Frage, was Sean von der neuen Regierung sehen möchte, stimmt er persönlich den Forderungen von Rosa Lëtzebuerg einerseits zu, aber andererseits denkt er schon einen Schritt weiter – mit Blick auf die nächsten nationalen Wahlen in fünf Jahren. „Ich wünsche mir, dass die nächste Regierungsstruktur viel linkslastiger und viel weniger konservativ ist. Ich hoffe auch, dass die rechtsextreme Partei nur noch die Hälfte der Stimmen bekommt, die sie bei dieser Wahl bekommen hat“, sagt er. „Das kommt aus der Perspektive einer queeren Person, aber auch aus der Sicht eines normalen Bürgers. Ich persönlich glaube, dass jede marginalisierte Gruppe in Luxemburg von einer linkslastigeren Regierung profitieren würde.“ Aber fühlte er sich von der vorherigen Regierung gesehen? „Es gibt hier und da Gesetze oder Ideen, aber es ist oft nicht genug und berücksichtigt nicht, was die Gemeinschaft tatsächlich braucht oder fordert“, betont er.

Hoffnung und Enttäuschung

Charlie Thines, 26 Jahre alt, lebt in Luxemburg-Stadt, würde sicherlich mit Sean übereinstimmen. Charlie ist Archivar:in und Projektionist:in; transmaskulin, nicht-binär, bisexuell und queer. 2023 war das zweite Mal, dass dey an den Parlamentswahlen teilnahm. Deren Wahlverhalten hat sich in den letzten fünf Jahren drastisch verändert. „2018 habe ich in Schottland studiert; wenn ich in Luxemburg war, wohnte ich im Osten“, erinnert dey sich. „Im Grunde genommen habe ich für die Leute gestimmt, von denen mir meine Eltern erzählt haben oder von denen ich wusste, dass sie in der Vergangenheit Gutes getan haben.“ Im Rückblick findet dey diesen Ansatz albern. Damals war dey vielleicht nicht vorbereitet, aber in diesem Jahr hat dey erheblichen Aufwand betrieben, um sich zu informieren.

Drei Monate vor den Parlamentswahlen, zog dey vom Osten Luxemburgs in die Hauptstadt, und kannte daher keine:n der Kandidat:innen. „Ich habe alle Wahlprogramme gelesen und das Tool ‚Smart Wielen‘ verwendet“, sagt dey. Bei dieser Plattform handelt es sich um ein fragebasiertes Tool, das es Benutzer:innen ermöglicht, ihre eigenen politischen Ansichten mit denen der Kandidat:innen und Parteien zu vergleichen, die bei den Parlamentswahlen in Luxemburg antreten. Der Katalog besteht aus 44 Fragen, die ein breites Spektrum politischer Themen abdecken. Benutzer:innen wie Charlie mussten dieselben Fragen wie die Kandidat:innen und Parteien beantworten. „Ich bin alle Fragen durchgegangen, die auf der Plattform gestellt wurden, und habe meine Ideale mit denen einzelner Kandidat:innen verglichen – wobei ich mich besonders auf weibliche Politikerinnen konzentriert habe, die ich unterstützen wollte.“ Charlie erinnert sich daran, wie dey mit dem Laptop auf dem Bett saß und dabei den Briefwahlzettel ausfüllte.

Warum diese drastische Meinungsänderung im Vergleich zu 2018? Für Charlie hängt dies definitiv mit deren persönlichen Reise zusammen: „Mein Interesse an Politik wuchs, als ich mich selbst kennenlernte und meine Queerness akzeptierte. Ich wollte für Kandidat:innen stimmen, die sich für meine Rechte interessieren.“ Dennoch konnte sich Charlie nicht wirklich mit einem der Wahlprogramme oder Kandidat:innen identifizieren, auch wenn sie ein Interesse an queeren Rechten bekundeten. „Ich weiß nie, wem ich vertrauen kann“, sagt Charlie, „weil die meisten Kandidat:innen cis-heterosexuelle Menschen sind. Interessieren sie sich wirklich ernsthaft dafür, unsere Rechte zu verteidigen, oder ist es nur Pinkwashing?“ Im Sommer 2023 nahm Charlie an einer Podiumsdiskussion über queeres Leben in Luxemburg, die vom Rainbow Center, dem Zentrum für queere Kultur, einer Initiative von Rosa Lëtzebuerg, organisiert wurde, teil. Dort forderte dey mehr trans- und nicht-binäre Politiker:innen und betonte, dass diese in der politischen Arena fehlen. „Heute denke ich: Vielleicht werde ich in ein paar Jahren in die Politik gehen, wenn sich die Umstände nicht ändern“, sagt dey. „Solange wir in der Politik unterrepräsentiert sind, werden unsere Interessen marginal bleiben.“

Bevor dey sich zur Wahl stellt, versucht Charlie, deren inneren Kreis über queere Erfahrungen aufzuklären. Diese Arbeit ist anstrengend, aber wichtig, erklärt Charlie. Zum Beispiel initiiert dey regelmäßig Diskussionen über anti-queere Diskriminierung. „Die große Mehrheit ist sich der Realität queerer Menschen nicht bewusst“, sagt dey. Aber wofür würde dey kämpfen, wenn dey tatsächlich in der Politik landen würde? Zwei deren Hauptanliegen sind Gleichheit in jeder Hinsicht sowie Familien- und Umweltpolitik. Dey fordert die Anerkennung und Unterstützung jedes Familienmodells, aber auch die Reform des Adoptionsrechts. Derzeit können nur verheiratete Paare ein Kind adoptieren. Es besteht die Hoffnung, dass sich dies ändern könnte, da die DP – eine der führenden Kräfte der neuen Regierung – in ihrem Wahlprogramm versprochen hat, die Adoption für Singles und unverheiratete Paare zu öffnen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Im neuen Koalitionsabkommen, das als Leitfaden für die kommende Legislaturperiode (2023-2028) gilt, wird dieses Versprechen zumindest auf dem Papier gehalten.

Charlie möchte auch Änderungen in Bezug auf die Rechte queerer Familien sehen, wie die sofortige Anerkennung der Elternschaft – unabhängig vom Geschlecht der Eltern – und die vollständige Unterstützung der medizinisch assistierten Fortpflanzung für alle, die darauf zurückgreifen müssen. Leihmutterschaft ist derzeit in Luxemburg verboten; die Kosten für die medizinisch assistierte Fortpflanzung werden von der Caisse nationale de santé (CNS) bis zum Alter von 43 Jahren übernommen. Die CSV und die DP schreiben im Koalitionsabkommen, dass sie die medizinisch assistierte Fortpflanzung für Singles zugänglich machen und am rechtlichen Rahmen für die Verfahren arbeiten wollen.

Was die Fortpflanzung betrifft: In ihrem Wahlprogramm versprach die DP, Leihmutterschaft in Luxemburg zu erlauben, während die CSV dies nicht tat. Die CSV hat sich in den Verhandlungen durchgesetzt, da im Koalitionsabkommen festgehalten ist, dass Leihmutterschaft in Luxemburg bis auf Weiteres verboten bleibt. Kinder, die im Ausland durch medizinisch assistierte Fortpflanzung oder Leihmutterschaft geboren wurden, sollten jedoch in Luxemburg von beiden Eltern anerkannt werden können. Die CSV und die DP behaupten auch, dass sie die Gesetzesrahmen reformieren wollen, um die Elternschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren anzuerkennen. Derzeit muss der nicht-biologische Elternteil das Kind adoptieren, um eine rechtliche Beziehung herzustellen; dieser Prozess kann erst drei Monate nach der Geburt des Kindes begonnen werden. Ein Entwurf zum Elternschaftsgesetz, der solche Bestimmungen ändern soll, liegt seit 2013 auf dem Tisch und ist seit Jahren Gegenstand kontroverser Diskussionen. Im neuen Koalitionsabkommen gibt es eine vage Formulierung dazu, die Raum für Interpretation lässt: „Im Falle einer Adoption und um homosexuelle Eltern nicht länger gegenüber heterosexuellen Eltern zu diskriminieren, wird eine automatische Anerkennung beider gleichgeschlechtlicher Elternteile festgelegt.“ ** Abgesehen davon scheinen sich beide Parteien nicht um die Rechte transidenter Eltern zu kümmern. In ihren Antworten auf Rosa Lëtzebuergs Wahlprüfsteine, mit denen die Organisation ihre Forderungen mit den Positionen der Parteien vor den Parlamentswahlen verglich, sprachen sich sowohl die CSV als auch die DP gegen die „Anerkennung der Elternschaft von Trans-Eltern durch Verwendung des neutralen Begriffs ‚Eltern‘ auf Geburtsurkunden“ aus. Dieses Thema wird im Koalitionsabkommen ebenfalls nicht angesprochen.

Jedenfalls ist Charlie zutiefst enttäuscht vom Ergebnis der nationalen Wahlen. Dey bezeichnet sich als naiv, weil dey dachte, dass die Mehrheit der Bürger:innen Luxemburgs deren politischen Ansichten teilen würde. „Ich umgebe mich mit queeren Menschen und Verbündeten, daher war ich schockiert, als ich hörte, dass die Mehrheit für eine konservative Partei wie die CSV gestimmt hat“, resümiert dey. „Es hat mich noch mehr betrübt zu sehen, dass déi Gréng so viele Sitze verloren haben und die rechtsextreme ADR Stimmen gewonnen hat.“

Die ehemalige Regierungspartei, déi Gréng, die in ihrem Wahlprogramm zahlreiche Vorschläge zur Stärkung der Rechte von LGBTIQA+ hatte, ging als Hauptverliererin aus den Wahlen hervor. Sie verloren fünf ihrer neun Sitze im Parlament und sanken von 8,55 Prozent (2018) auf 6,57 Prozent (2023). Sie landeten auf der Oppositionsbank. Zusammen mit der LSAP, die bei den Wahlen erfolgreich war (2018: 17,6 Prozent; 2023: 18,9 Prozent), aber nicht in die Koalitionsverhandlungen der meist gewählten CSV (2023: 29,2 Prozent) einbezogen wurde. Déi Gréng und die LSAP teilen sich nicht nur die Oppositionsbank mit im Wesentlichen queerfreundlichen Parteien wie déi Lénk und der Piratepartei, sondern auch mit einer gestärkten ADR (2018: 8,56 Prozent; 2023: 9,55 Prozent). Die rechtspopulistische Partei, die sich in der Vergangenheit wiederholt und offen gegen queere Menschen ausgesprochen und anti-trans- sowie homophobe Positionen in ihrem Wahlprogramm hatte, gewann einen Sitz im Osten. Neben Alexandra Schoos (Ost) gehört jetzt auch Tom Weidig (Zentrum) der Abgeordnetenkammer an – und das Parlament zählt somit ein Mitglied, das in der Vergangenheit rechtsextreme Inhalte auf Facebook geteilt und sich kürzlich online in Hassreden gegen den Drag-Künstler Tatta Tom verwickelt hat: eine Figur, die altersgerechte Geschichten über Vielfalt und Inklusion für junge Kinder erzählt.

„Ich kann nicht verstehen, dass die Leute immer noch für die ADR gestimmt haben, obwohl allgemein bekannt ist, dass einige ihrer Mitglieder Rechtsextreme sind“, sagt Charlie. Davon mal ganz abgesehen, dass von den 60 direkt gewählten Abgeordneten nur 18 Frauen sind. Leider überrascht mich das nicht, da die meisten Parteien keine weibliche Führung hatten und ihre Kandidatinnen nicht zu den wichtigsten TV-Interviews schickten. Mal ganz zu schweigen davon, dass nicht alle ein Paritätsprinzip beim Zusammenstellen ihrer Wahllisten respektiert haben.“

Wählen oder Nicht wählen

Während Charlie und Sean zumindest ihre Stimmen abgeben konnten, schaute ein Großteil der Bevölkerung Luxemburgs den Parlamentswahlen aus dem Abseits zu da er nicht wahlberechtigt ist: Es handelt sich um die 47,7 Prozent (Stand: 2022) der Bewohner:innen im Großherzogtum, die nicht die luxemburgische Staatsbürgerschaft besitzen und somit kein Wahlrecht für Nationalwahlen haben. Eine von ihnen ist Nora,* 33 Jahre alt. Die gebürtige Albanerin lebt seit fünf Jahren in Luxemburg.

Seit 2023 darf sie, wie jede:r andere Bewohner:in in ihrer Situation, an den Kommunalwahlen teilnehmen, unabhängig von der Zeit, die sie in Luxemburg verbracht hat. Bevor diese Regelung in Kraft trat, durften sich betroffene Personen erst nach fünf Jahren Aufenthalt für die Kommunalwahlen registrieren. 2015 fand das ‚Luxemburger Verfassungsreferendum‘ statt. Eine der gestellten Fragen lautete: „Befürworten Sie die Idee, dass ausländische Mitbürger das Recht erhalten, sich fakultativ in die Wählerlisten einzuschreiben, um sich als Wähler an den Wahlen zur Abgeordnetenkammer zu beteiligen, und dies unter der besonderen doppelten Bedingung, während mindestens zehn Jahren in Luxemburg gewohnt und sich vorher bereits an Kommunal- oder Europawahlen in Luxemburg beteiligt zu haben?“ Die Antwort damals war eindeutig: 78,02 Prozent waren dagegen. Das Gesetz hat sich seitdem nicht geändert.

Nora wird im Dezember einen Antrag auf die luxemburgische Staatsbürgerschaft stellen. „Ich freue mich, endlich wählen zu dürfen“, sagt sie. Ironischerweise hat sie Politik an der Universität studiert und verfolgt weiterhin die politische Situation in Albanien, hat aber nie in ihrem Leben gewählt – weder hier noch dort. Nora lebte 18 Jahre lang in Albanien, bevor sie für ihr Studium nach Italien zog. „Ich habe Albanien verlassen, bevor ich wahlberechtigt war; in Italien habe ich nie die Staatsbürgerschaft bekommen. Ich hätte dieses Jahr bei den Kommunalwahlen in Luxemburg wählen können, aber leider war ich auf einer Geschäftsreise, als ich es bemerkt habe, und ich habe daher die Frist zur Anmeldung verpasst.“

Obwohl sie in Luxemburg nicht wählen konnte, fühlt sich Nora hier zugehörig. Um die luxemburgische Staatsbürgerschaft zu beantragen, musste sie die Sprache von Grund auf lernen und Kurse zur Geschichte Luxemburgs besuchen. Derzeit ist sie nicht in die Politik in Luxemburg involviert, ist sich jedoch sicher, dass sich dies ändern wird, sobald sie das Wahlrecht hat. Ein Thema, das ihr am Herzen liegt: die Wohnungsproblematik in Luxemburg. „Mein genereller Eindruck ist, dass Vermieter:innen dieses Land führen. Die Rechte der Mieter:innen werden nicht respektiert oder teilweise existieren sie gar nicht, was mich frustriert.“ Sie mietet über eine Immobilienagentur, was es unmöglich macht, mit dem Besitzer ihres Studios in Kontakt zu treten. „Wenn ich dieses Jahr hätte wählen können, hätte ich mich besser darüber informiert, welche Partei gegen die Wohnungsproblematik ankämpft und versucht, es zu ändern“, denkt sie.

Nora identifiziert sich mehr als Expat und weniger als queere Person. Als solche fühlt sie sich von Politiker:innen im Allgemeinen gesehen, besonders in Luxemburg-Stadt, wo sie lebt. Sie betrachtet sich jedoch nicht als Teil der queeren Gemeinschaft in Luxemburg; sie verfolgt auch nicht die Debatten über queere Rechte in Luxemburg. „Das könnte teilweise daran liegen, dass ich Angst vor Vorurteilen habe: Ich habe oft das Gefühl, dass, sobald du dein Coming-out hattest, die Leute dich nur noch als queere Person wahrnehmen. Diese Angst hindert mich daran, mich offener in der queeren Community zu involvieren oder daran Interesse zu zeigen.“ Sie zog für die Arbeit nach Luxemburg und sagt, dass ihre sexuelle Orientierung nicht der Grund war, ihr Heimatland zu verlassen. Aber im Ausland zu leben, hat ihr die Freiheit gegeben, ihre sexuelle Orientierung zu erkunden und zu akzeptieren. In Albanien besuchte sie eine Jesuitenschule, schlief in von Nonnen geleiteten Schlafsälen und wuchs in einer katholischen Familie auf dem Land auf. Sie erinnert sich daran, sich tief beschämt gefühlt zu haben, als sie zum ersten Mal an ihrer Heterosexualität zweifelte und deshalb ihr Verlangen unterdrückte.

Ihr erstes Coming-out erfolgte vor drei Jahren, als sie Freunde und ihre Freundin zu einer Einweihungsparty einlud. Die meisten ihrer in Albanien und Italien lebenden Familienmitglieder wissen nichts von ihrer queeren Identität. „In Albanien ist die Situation anders als in Luxemburg: Queere Menschen werden von der überwiegenden Mehrheit nicht akzeptiert. Italien fühlte sich wie etwas dazwischen an; ich fühlte mich wohler, über meine sexuelle Orientierung zu sprechen, aber ich war immer noch nicht selbstbewusst genug, diese Informationen mit allen zu teilen, obwohl ich zu der Zeit Beziehungen hatte“, sagt Nora. Am Arbeitsplatz wissen einige Kolleg:innen von ihrer Freundin, während andere es nicht wissen, weil Nora unsicher ist, wie sie reagieren würden.

Nora findet es schwierig zu definieren, was sie von der neuen luxemburgischen Regierung in Bezug auf queere Politik sehen möchte. Da in ihrem Herkunftsland queere Rechte marginal sind, empfindet sie es als einen Segen, in Luxemburg zu leben. „In meinem Geburtsland muss alles verbessert werden“, sagt sie. Im neuesten Bericht der ‚International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association‘ (Ilga-Europe) von 2022 wurde Albanien unter 49 beobachteten Ländern auf Platz 28 in Europa eingestuft. Die sogenannte ‚Rainbow Map‘ verfolgt die Umsetzung von LGBTIQA+-Rechten. Luxemburg belegt derzeit den 7. Platz, unter anderem, weil die vorherige Regierung es versäumt hat, Gesetze „einzuführen, die eine automatische Anerkennung der Mitelternschaft ermöglichen – damit Kinder, die von Paaren geboren wurden, unabhängig von der sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der Partner, keine rechtlichen Hürden haben, um von Geburt an rechtlich von ihren Eltern anerkannt zu werden“; den bestehenden Gesetzesrahmen für Geschlechtsanerkennung so zu aktualisieren, dass er eine neutrale Geschlechtsoption enthält, und Genitalverstümmelungen an intergeschlechtlichen Kindern verbietet.

Obwohl im Koalitionsvertrag steht, dass die Regierung einen neutralen Geschlechtsmarker auf Ausweisdokumenten einführen wird, scheint es, als würden Genitalverstümmelungen an intergeschlechtlichen Kindern nicht verboten werden. Im Koalitionsvertrag steht nur, dass sich die Regierung verpflichtet, Respekt und Schutz für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten sicherzustellen. „Sie wird sich dafür einsetzen, dass die Modalitäten für die Geschlechtsanpassung und die Geschlechtszuweisung bei intersexuellen Menschen evaluiert und an die Bedürfnisse angepasst werden. Die Regierung wird den diesbezüglichen Rechtsrahmen in anderen EU-Ländern genau beobachten und analysieren.“ **, heißt es im Koalitionsvertrag.

Aber zurück nach Albanien, wo die allgemeine Situation von LGBTIQA+-Menschen, wie Nora sagt, noch schlimmer ist. „Das hat viel mit der Mentalität der Menschen zu tun.“ Nach ihren Erfahrungen sind nur Menschen, die in ihrem Leben etwas erreicht haben, mutig genug, in Albanien offen queer zu sein. „Im Allgemeinen zählt das Wohlbefinden der Familienmitglieder in Albanien weniger als der Ruf der Familie – queere Menschen oder ein queeres Kind sind immer noch mit viel Scham behaftet.“ Die von Ilga-Europe bereitgestellten Fakten bestätigen Noras Eindrücke. „Der Barometer von Euronews Albanien ergab, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Albanien weiterhin feindlich gegenüber LGBT+ Menschen eingestellt ist, einschließlich unter jüngeren Generationen“, schreibt Ilga-Europe in ihrem Bericht über Albanien.

Während Nora eher zurückhaltend ist, wenn sie gefragt wird, welche Art von LGBTIQA+-Politik sie in Luxemburg sehen möchte, hat Hélène Walland eine klarere Vorstellung davon, was sie in diesem speziellen Bereich tun würde, wenn sie das Recht hätte, an Parlamentswahlen teilzunehmen. Die 37-jährige Produzentin aus Luxemburg und Mitglied des queerfeministischen Kinoklubs ‚queer loox‘ lebt seit sieben Jahren im Großherzogtum. Im Allgemeinen sagt sie, dass eine homosexuelle Frau zu sein einen Einfluss darauf hat, wie sie wählt: Hélène definiert sich als lesbische, feministische Frau, die gegen das Patriarchat kämpft – obwohl sie es vorziehen würde, das binäre System, in dem wir immer noch leben, ganz zu durchbrechen. Hélène betont, dass queere Rechte nicht das einzige sind, was für sie bei der Wahl zählt: „Es braucht eine Kombination von Themen, die meinen Erwartungen und persönlichen Überzeugungen entsprechen, damit ich für eine:n Kandidat:in oder eine Partei stimme. Es gibt keine isolierte Angelegenheit.“ Bisher hat sie insbesondere Probleme in der Sozialpolitik erlebt. „Um nur ein Beispiel zu nennen: Wohngemeinschaften werden in Luxemburg nicht anerkannt“, sagt sie. Trotzdem weiß sie, was sie von der neuen Regierung erwartet, wenn es um LGBTIQA+-Rechte geht. „Zumindest die folgenden Punkte: das Verbot von Konversionstherapien; die Einführung eines ’neutralen‘ Geschlechts neben den Optionen weiblich oder männlich in Ausweisdokumenten; die automatische Anerkennung der Mitelternschaft für lesbische Paare, anstatt der Möglichkeit auf ein Adoptionsverfahren drei Monate nach der Geburt.“ Abgesehen von den zuvor erwähnten Versprechen beabsichtigt die neue Regierung tatsächlich, Konversionstherapien zu verbieten.

Hélène sagt, dass sie sich erst seit Kurzem ernsthaft für die luxemburgische Politik interessiert hat. In der Vergangenheit hat sie sich nicht oft die Frage gestellt, ob die Politiker:innen ihre Situation als Person im LGBTIQA+-Spektrum sowie als Nicht-Wahlberechtigte ernst nehmen oder nicht. „Immerhin gehöre ich immer noch zu den Privilegierten: Ich bin weiß und europäische Staatsbürgerin, was bedeutet, dass ich als ‚Expat‘ gelte und nicht als ‚Migrantin‘“, teilt sie ihre Gedanken zu ihrer Nationalität mit, während sie sich selbst als Europäerin betrachtet.

Es stört sie, dass sie dieses Jahr nicht an den Nationalwahlen teilnehmen konnte. „Es ist das erste Mal, dass ich gerne gewählt hätte.“ Sie erinnert sich, dass dies vor fünf Jahren anders war: Sie war noch nicht lange genug in Luxemburg und dachte, wie viele Menschen, die aus beruflichen Gründen nach Luxemburg kommen, nicht, dass sie bleiben würde. „Jetzt würde ich gerne wählen können, weil ich hier seit mehreren Jahren lebe und täglich die Politik verfolge“, sagt sie. „Für mich ist es die Pflicht eine:r Bewohner:in, sich für Politik zu interessieren und daran teilzunehmen. Das ist die Grundlage einer Demokratie.“ Im Gegensatz zu Nora hat sie an den Kommunalwahlen teilgenommen, sich auch durch die Programme der Parteien gelesen, das Tool ‚Smart Wielen‘ genutzt und sogar mit einigen Politiker:innen gesprochen, um ihre Standpunkte kennenzulernen. Auf die Frage, ob sie die luxemburgische Staatsbürgerschaft beantragen möchte, antwortet sie: „Für mich ist die Frage der Staatsbürgerschaft komplexer.“ Sie weiß nicht, ob sie sie beantragen möchte. „Der einzige Vorteil wäre, bei Parlamentswahlen abstimmen zu können.“ Für sie stellt sich die Frage, ob es möglich ist, Bewohner:innen das Wahlrecht zu gewähren und unter welchen Bedingungen.

Was kommt als Nächstes

Eine Frage an die neue Regierung. Die Koalitionsvereinbarung könnte interessante Ansätze für die Rechte von LGBTIQA+ Personen enthalten. Neben den bereits genannten Punkten beabsichtigt die Regierung sogar, Blutspenden für alle zu öffnen, basierend auf einer individuellen Risikobewertung – derzeit sind nicht-heterosexuelle Männer von der vollen Blutspende ausgeschlossen –; den ‚Plan d’action LGBTI‘, der 2018 von der Regierung Gambia II eingeführt wurde, fortzusetzen und anzupassen, sowie mehr sichere Räume zu schaffen, auch für sogenannte ‚Regenbogenfamilien‘. Letztendlich sollten solche Versprechen jedoch mit Vorsicht behandelt werden, da einige der genannten Dossiers seit Jahren verhandelt werden und nie umgesetzt wurden. Es ist auch fraglich, ob den LGBTIQA+-Rechten in Zukunft Priorität eingeräumt wird. Nur um ein Beispiel zu nennen: LGBTIQA+-Themen waren in den Arbeitsgruppen, die gebildet wurden, um das Koalitionsabkommen vorzubereiten, eher ein Randthema, da das Dossier in der Arbeitsgruppe ‚Organisation du vivre-ensemble et de la qualité de vie‘ unter dem Stichwort ‚Chancengleichheit‘ behandelt wurde. Diese Gruppe diskutierte auch Themen im Zusammenhang mit Raumplanung, Mobilität, Kultur, ehrenamtlicher Arbeit, Jugend, Familie, Senioren, Sport und Menschen mit besonderen Bedürfnissen – eine zersplitterte Serie von Themen, bei der die spezifischen Merkmale verschiedener Formen der Diskriminierung möglicherweise verloren gegangen sind.

„Ich hoffe, die neue Regierung wird mich positiv überraschen“, sagt Charlie am Ende. Genauer gesagt wünscht dey sich mehr sichere Räume für queere Menschen in Luxemburg und bessere rechtliche Bedingungen für trans Menschen, die in vielen Aspekten ihres Lebens struktureller Diskriminierung ausgesetzt sind. „Wir müssen weiterkämpfen“, betont dey. „Wenn nötig, müssen wir auf die Straße gehen und offene Briefe veröffentlichen, um für unsere Politiker:innen Priorität zu haben.“

*Name von der Redaktion geändert
** Anm. d. Red.: AI generierte Übersetzung, da zur Zeit der Veröffentlichung keine offizielle deutsche Übersetzung verfügbar ist