LIOU (er/dey) zog im September von Luxemburg nach Griechenland und absolviert derzeit ein Praktikum im Meraki-Gemeinschaftszentrum von Vasilika Moon, einer Organisation, die Migranten:innen, Asylbewerber:innen und Geflüchtete in und um Athen unterstützt. Dieses Praktikum ist Teil deren Studiums der International Studies. Dey sinniert über diese Erfahrung und teilt einige Gedanken über Praktiken bei Meraki im Zusammenhang mit dem Konzept des „sicheren Raum“.
FRAGEN DER LIEBE UND DER SICHERHEIT
In letzter Zeit habe ich mich für die Liebe interessiert und dafür, wie sie sich in meinem Leben manifestiert. Ich habe die Überlegungen von bell hooks darüber gelesen, was Liebe ist: Liebe als Wahlmöglichkeit, der Unterschied zwischen Fürsorge und Liebe, die Verantwortung und Rechenschaftspflicht, die der Liebe innewohnen. Dieses Nachdenken über die Liebe fällt mit meiner akademischen Forschung über sichere Räume zusammen.
Ich habe intensiv über die Dynamik von Gewalt, Unterdrückung und Herrschaft nachgedacht und darüber, wie sie meine Wahrnehmung von Liebe beeinflusst. Wie wirken sich diese Dynamiken, die immer noch in mir selbst verwurzelt sind, auf die Art und Weise aus, wie ich Menschen sehe und behandle?
Ich habe meine Position in der Gesellschaft immer wieder neu überdacht. Woher kommen meine Gedanken und (Vor-)Vorstellungen? Wie kann ich Stabilität und Sicherheit finden, wenn sich sowohl meine Identität als auch mein Umfeld ständig verändern? Wo finde ich Trost, wenn es für die Menschen nicht nur eine Möglichkeit gibt, mich so zu sehen, wie ich mich präsentiere? Was ist Gemeinschaft? Was ist Aktivismus? Was bedeuten diese Begriffe, und wie kann ich zu ihnen beitragen?
Ich habe keine endgültige Antwort auf diese Fragen gefunden. Als ich nach Athen zog, war ich also immer noch damit beschäftigt, mich selbst, meine Gedanken, meine Handlungen und mein Umfeld zu hinterfragen.
Hier arbeite ich im Meraki Community Centre von Vasilika Moon, einer Basisorganisation, die Migranten:innen, Asylbewerber:innen und Geflüchtete in und um Athen unterstützt. Mit und durch Meraki bin ich zu einem Bezugspunkt für die Menschen, mit denen ich arbeite, geworden, zu einer Person, an die sie sich wenden können, wenn sie Unterstützung, Anleitung und Rat brauchen.
ARBEITEN LIEBEN ARBEITEN
Meine Hauptaufgabe bei Meraki ist das Case Management, das größtenteils über WhatsApp abgewickelt wird. Nach einem Beratungstermin bleibe ich über Textnachrichten mit unseren so genannten Begünstigten in Kontakt. Ich vermittle sie an medizinische und juristische Dienste, an Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten oder an Wohneinrichtungen. Für mich gehört zum Case Management auch ein Geburtstagsgruß oder eine Glücksnachricht für eine Asylanhörung. Dazu gehört auch ein kurzes Gespräch mit einer Familie, die quer durch die Stadt gelaufen ist, um eine Tüte mit abgelaufenen Lebensmitteln abzuholen. Dazu gehört auch die Verlegung eines Treffens mit einem Asylbewerber, um ihm eine zusätzliche Reise nach Athen aus einem Lager außerhalb der Stadt zu ersparen. Ich erfahre, wie es den Menschen geht, was sie bewegt und wo ich/wir ihnen helfen können.
Um diese Arbeit gut zu machen, bin ich Teil eines großen Netzwerks von Organisationen, Verbänden und Institutionen, sowohl staatlichen als auch unabhängigen. Wenn nichts zu funktionieren scheint, muss ich weiter ausholen und versuchen, eine Lösung zu finden. Das bedeutet, dass ich langsam mitbekomme, wie das Netzwerk aufgebaut ist, wo es Mängel aufweist und wo nationale und regionale Politiken zu Hindernissen werden. Ich kann den Fluss der Ressourcen und Mittel verfolgen, ob es sich nun um einen ablaufenden Laib Brot, 5 kg Kartoffeln oder um die Möglichkeit eines Zuschusses handelt. Vor allem aber lerne ich die Menschen, die von meiner Arbeit am meisten betroffen sind, kennen.
Jeden Tag bin ich dankbar dafür, dass ich mit Menschen, deren Widerstandskraft es ihnen immer wieder ermöglicht, selbst die entmutigendsten Situationen zu meistern, sprechen darf. Jeden Tag werde ich auch mit dem Mangel an Ressourcen, der dieselben Menschen zur Resilienz zwingt, konfrontiert. Unsere Möglichkeiten für Unterkunft und Nahrung sind erschöpft. Trockene Zutaten, die vor allem für Menschen mit medizinischen Problemen oder besonderen Bedürfnissen notwendig sind, sind kaum zu bekommen. Die Menschen laufen quer durch die Stadt, um eine Tüte mit Lebensmitteln, die noch am selben Tag abläuft, zu holen.
Unterkunft und Verpflegung sind eine scheinbar unmögliche Situation. Wir müssen Menschen, die in überfüllten Zimmern und Wohnungen leben, raten, ihren Aufenthalt dort zu verlängern, weil wir keine besseren Möglichkeiten haben. Der durchschnittliche monatliche Preis für eine Matratze auf dem Fußboden eines Mehrbettzimmers mit zehn Personen beträgt etwa 70 Euro. Diejenigen, die den Flüchtlingsstatus erhalten haben, verlieren die staatliche Unterstützung und haben keinen Zugang zu den Grundbedürfnissen, die in den Lagern (teilweise) bereitgestellt werden.
Neuankünfte auf den griechischen Inseln haben seit dem letzten Jahr um 990 % zugenommen, die Lager sind überfüllt, und wir können beobachten, dass der Zustrom von Migranten nach Athen zunimmt. Der Winter steht vor der Tür, wir bestellen Decken und Schlafsäcke.
Wo wir können, versuchen wir, uns auf die geringen Hilfen zu stützen, die es gibt, wie z. B. die Bereitstellung von Geldkarten, eines Daches und eines Grundnahrungsmittels für die in Lagern lebenden Menschen oder die medizinische Unterstützung von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen und Medical Volunteers International. In anderen Bereichen versuchen wir, neue Strukturen zu schaffen, um die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen besser zu organisieren. Da überall in der Stadt Lebensmittelverteiler geschlossen werden, organisieren sich die Verbliebenen, um effizienter zu werden.
POiNT BUSiNESS
Meraki ist Teil dieser kollektiven Verteilung von Lebensmitteln durch unseren Umsonstladen, ein Ort, über den ich mich glücklich schätzen kann. Es handelt sich um einen winzigen Raum, den wir in einen Mini-Lebensmittelladen verwandelt haben, in dem die Währung Punkte sind. Der Laden ist mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln, die wir durch unseren Zugang zu einem Lager in Korinthos und einige (internationale) Spenden erhalten, bestückt. Je nach verfügbaren Mitteln ändern sich die Produkte. Eine Flasche Öl kostet sechs Punkte, Monatsbinden sind kostenlos, eine Packung Salz kostet einen Punkt, eine Schultasche vier Punkte. Wir haben die Inflation bis zum Ende des Jahres aufgehoben.
Im Umsonstladen kann eine begrenzte Anzahl der Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, ihre Einkäufe mit Punkten erledigen. Wie viele Punkte sie haben, hängt von der Größe ihrer Familie ab. Alle diese Menschen befinden sich in einer sehr prekären Lage. Einige von ihnen sind stundenlang unterwegs, um aus Lagern wie Ritsona oder Schisto zu kommen und sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Dies bedeutet oft eine drei- bis vierstündige Reise. Was gibt es da noch zu sagen?
Trotz der Dringlichkeit und der Fülle von Gefühlen und Frustrationen, die mit der Situation verbunden sind, ist der Umsonstladen zu einem meiner Lieblingselemente der Woche geworden. Es ist ein Ort, an dem ich mit Liebe, Freundlichkeit und Fürsorge tanzen kann. Spaghetti sind ein beliebter Artikel, weil die Kinder sie gerne schlürfen. Wir malen persönliche Kritzeleien auf unsere Eierkarton-Konstruktionen. Wir lernen Lebensmittelvorlieben kennen – 5 kg Kichererbsen im Sonderangebot für eine Person, die sie als Filmsnack isst, wenn es ihr schlecht geht. Ein Familienvater, der versucht, den Preis für Babyfeuchttücher herunterzuhandeln. Die Kiste mit den kostenlosen Schals und Mützen, die wir den Leuten anbieten können, wenn sie reinkommen. Kostenloses, ablaufendes Brot aus dem Supermarkt am Eingang, das wir nach Vorliebe verteilen dürfen: kein Baguette, lustige Formen, Weiß- und Schwarzbrot, weiche und harte Kruste.
Die Wände sind mit kleinen Willkommensschildern in Lingala, Englisch, Farsi, Französisch, Punjabi und Arabisch geschmückt. Die Preise (Punkte) sind auf kleine, aus farbigem Papier ausgeschnittene Blumen geschrieben. Die Regale werden so voll wie möglich gehalten, und wir verhandeln mit unserem Koordinator, um die Supermarktgutscheine für dringend benötigte Artikel zu verwenden. Wir setzen uns für die Aufnahme von Fruchtsäften in den Laden ein, aber nach einem Geschmackstest der billigsten Saftvarianten ist die Lobbyarbeit auf Eis gelegt. Wir kennen die Vorlieben der Menschen, die zu uns kommen, und wir tun unser Bestes, um sie zu berücksichtigen.
Durch die Sorgfalt und Freundlichkeit, die kontinuierlich in den Umsonstladen investiert wird, ist er zu einem Ort des Vertrauens, der Sicherheit und der Liebe für diejenigen geworden, die ihn betreten. Es ist ein Raum der Autonomie, der (Wieder-)Vermenschlichung und des Gesprächs. Anstatt eine vorbereitete Kiste mit Lebensmitteln in die Hand zu nehmen, können sie sich ihre Lebensmittel selbst aussuchen. Wir können von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, Gesichter hinter WhatsApp-Nummern und Profilbildern sehen.
Mati, eine meiner Kolleginnen, ist das Gesicht des Umsonstladens geworden. Sie arbeitet seit zwei Monaten als Freiwillige bei Meraki und hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich um den Umsonstladen zu kümmern. Er hat sich in einen Ort der Geborgenheit verwandelt, sowohl für die Meraki-Mitarbeiter:innen als auch für diejenigen, die hier ihre Einkäufe erledigen.
SCHAFFUNG EINES SICHEREN RAUMS UND EINES SICHEREN ORTES
Für mich ist der Umsonstladen durch aktives Queering geprägt – jede Interaktion, die ich im Umsonstladen hatte, war durch das Queering von Beziehungen geprägt, von Menschen, die durch die Umstände zusammengebracht wurden.
Durch meine Arbeit bei Meraki wurde ich innerhalb von Sekunden von fünf Mitbewohner:innen adoptiert. Die Beziehungsebenen sind verschwommen: Kolleg:innen, Freund:innen, Mitbewohner:innen. Wir leisten einen Beitrag zu einem Projekt, das uns am Herzen liegt und das uns irgendwie zu einer eng verbundenen Familieneinheit gemacht hat. Damit wir uns in diesen unscharfen Beziehungen wohlfühlen, müssen wir Banden des Vertrauens und der Gemeinschaft schaffen. Bindungen, die wir durch Respekt, Leidenschaft und Motivation auf die Menschen ausdehnen können, mit denen wir arbeiten.
Jede Bindung oder jeder Konflikt innerhalb des Personals kann sich leicht auf die Menschen übertragen, mit denen wir arbeiten, vor allem, wenn wir sie persönlich sehen. Ich fühle mich den Menschen, deren Fälle ich bearbeite, sehr nahe, die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns begegnet hätten, ist gleich Null, und doch bin ich in sehr intime Aspekte ihres Lebens eingebunden. In jedem Aspekt meiner Arbeit bei Meraki gibt es ein klares Machtgefälle. In all diesen Aspekten versuche ich, dieses Ungleichgewicht abzubauen und zu mildern, um dazu beizutragen, dass trotz der Umstände ein Raum des Vertrauens, der Liebe und der Fürsorge entsteht.
Hier bemerke ich die Auswirkungen meiner queeren Identität – ich ertappe mich dabei, wie ich Praktiken, die mit dem sicheren Raum zusammenhängen und in der queeren Geschichte verwurzelt sind, anwende. Durch diese Praktiken arbeite ich aktiv daran, einen Raum für den Austausch, für Wachstum und für Unterstützung zu schaffen. Insbesondere das AMOQA (Athens Museum of Queer Arts) hat mir Einblicke in sichere Räume, die für mein Verständnis dieser Räume grundlegend geworden sind, gegeben. Für mich dreht sich die Praxis des sicheren Raums um die Schaffung eines Raums, in dem Menschen sich selbst treu bleiben können. Zu den Praktiken des sicheren Raums gehören Respekt, aktives Zuhören und Sensibilität für die Lebenserfahrung der Person(en), mit der ich interagiere. In manchen Fällen ist es für mich als Mann vielleicht am besten, den Raum zu verlassen und leise zu sein. In anderen Fällen könnte es für mein Gegenüber hilfreich sein, Rassismusprobleme im griechischen Asylverfahren offen zuzugeben und anzusprechen. Ehrlichkeit, Vertrauen, Offenheit und Bewusstsein leiten mich, meine Worte und mein Handeln. Dieser Raum manifestiert sich physisch im Umsonstladen. Der Umsonstladen wird für diejenigen, die ihn betreten, zu einer Gelegenheit und einem Ort des Loslassens. Und sei es nur für die paar Minuten, die es braucht, um Einkäufe zu erledigen. Im Umsonstladen kann ich deutlich sehen, woher das Meraki-Gemeinschaftszentrum seinen Namen hat: etwas mit Seele, Kreativität und Leidenschaft tun.